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Ku´damm-Raser-Mord: Opferfamilie beim 4. Prozess - Teil 2

Shownotes

Am 01. Februar 2016 wird Michael Warshitsky ermordet. Ein halbes Jahr vor seinem 70.Geburtstag, den seine beiden Söhne gerade vorbereiten. Warshitsky wurde in seinem robusten Jeep auf dem Nachhauseweg in Berlins City West bei der Querung einer Kreuzung bei grünem Ampellicht mit über 150 Stundenkilometern regelrecht von der Straße geschossen von dem Audi des inzwischen rechtskräftig wegen Mordes verurteilten Hamdi H. (heute 31). Der Senior fliegt in seinem Auto über 70 Meter weit und kommt auf der Tauentzienstraße, nahe des KaDeWe, auf dem Dach zum Liegen. Michael Warshitsky hat keine Chance. Raser Marvin N. (inzwischen 29) inspiziert die Schäden an seinem 380 PS- Mercedes und H. an seinem 225 PS-Audi, einer sucht nach seinem Handy. Mutmaßlich unter Schock. Währenddessen stirbt ihr Opfer in den Trümmern des aufgeschlitzten und total deformierten Jeeps. An diesem Tag wird auch das bisherige Leben der beiden Söhne, des um seinen Lebensabend gebrachten Michael Warshitsky, für immer zerstört. Nach dem frühen Krebstod der Mutter in ihrer Jugend kommt für Alexander und seinen kleinen Bruder schon der nächste Schicksalsschlag: die beiden Raser machen die Brüder auch noch vaterlos. Erst am 1. bzw. 3.März 2016 kommen Hamdi H. und Marvin N. in Untersuchungshaft. Die Berliner Staatsanwaltschaft will nach internen Rangeleien das Unmögliche versuchen: sie will die Tat nicht als fahrlässige Tötung (mit einer Höchststrafe von 5 Jahren) geahndet wissen, sondern als bedingt vorsätzlichen Mord. Das Ziel der beiden Raser sei gewesen: Ich rase mitten durch Berlin mit über 150 km/ h. Es könnte dabei jemand sterben, aber es ist mir egal… Vor Gericht geht es jetzt um lebenslange Haft wegen Mordes. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit beginnt am 06. Oktober 2020 der inzwischen vierte Anlauf im Ku´damm-Raser-Prozess, der immer noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist - viereinhalb Jahre nach dem tragischen und tödlichen Unfall. Während Hamdi H. vom Bundesgerichtshof inzwischen im Juni 2020 wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, steht Marvin N. jetzt erneut vor einer (anderen) Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts. Das Urteil ist so offen wie noch 2016, als damit begonnen wurde, zu ermitteln. Maximilian Warshitsky ist es Vermächtnis und Zeichen der Liebe zu seinem "Papa", wie er seinen Vater bis heute nennt, dieses aufwühlende Gerichtsverfahren, das für seine Familie weit über die Grenze des Erträglichen hinausgehe, zu durchleiden: für die Familie und all die, die immer noch Opfer schwerster Straftaten würden. Maximilian Warshitsky berichtet hier darüber, wie sein Vater der Familie fehle, wie entwurzelt, verzweifelt und allein man sich nach einer Straftat wie dieser jahrelang fühle, wie wenig man menschliche Wärme und helfende Unterstützung erlebe, es sei denn, man habe Familie und/ oder Freunde. Dieser Podcast sollte allenfalls halb so lang sein. Nach dem Interview entschied ich, das Gespräch mit Maximilian Warshitsky weitgehend unverändert zu belassen und in zwei Teilen zu veröffentlichen. Ich hoffe, dass das auf Zustimmung trifft.

Transkript anzeigen

00:00:00: MORLING: Erster Prozess zu Ende, Revision. 2. Prozess geplatzt wegen möglicher Befangenheit des Vorsitzenden Richters. 3. Prozess wieder lebenslang

00:00:11: wegen gemeinschaftlichen Mordes. Aufgehoben wurde das Urteil im Juni 2020 vom Bundesgerichtshof im Falle von Marvin

00:00:21: Hamdi H. ist rechtskräftig verurteilt worden zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes, er sitzt also endgültig.

00:00:29: Jetzt steht wieder Marvin N. vor Gericht. Was mich interessiert: der Prozess läuft schon viereinhalb Jahre. Haben die Beiden sich in irgendeiner Form,

00:00:41: bei Ihnen, bei ihrem Bruder, bei ihrer Familie gemeldet und irgendetwas, was man in die Richtung

00:00:50: "Es tut uns furchtbar leid! Wir haben den Fehler unseres Lebens gemacht! Wir haben ihren Vater zu Tode gebracht (ohne ein strafrechtliches Schuldanerkenntnis), haben sie sich irgendwie gemeldet,

00:01:01: Mitleid oder Mitgefühl bekundet und einfach nur gesagt: "Es tut uns furchtbar leid!"

00:01:06: WARSHITSKY: Nein, absolut gar nichts ist rüberkommen! Ich habe anfänglich gehofft, so wurde ich ja zu erzogen, dass egal, welche Scheiße du gebaut hast,

00:01:16: du dich dem Opfer gegenüber zeitnah zu entschuldigen hast.

00:01:23: Egal, wie schlimm, wie schmerzlich,  wie unangenehm das sein mag. Ich habe mir irgendwo vielleicht insgeheim erhofft, erwartet, dass das auch hier

00:01:33: so kommen wird - auch wenn das natürlich nichts daran ändern wird,  unabhängig davon, ob ich das Geschehen würde überhaupt entschuldigen können,

00:01:43: ob ich diese Entschuldigung würde annehmen können. Nein, es gab keine SMS, keine Nachricht, Nichts! Nicht einmal über einen Anwalt überbrachte Worte...

00:01:52: Komplette Funkstille, komplett! Leere, nichts! Im Prozess

00:02:00: waren ja die Eltern anwesend  von dem Hamdi, dem jetzt rechtskräftig Verurteilten. Die standen Zentimeter vor mir,

00:02:10: hinter mir, neben mir. Sie haben  mich gesehen und mich wahrgenommen. Sie haben gesehen, ich sitze auf der Nebenklägerbank.

00:02:17: Es ging ja um ihren Sohn! Wer auch immer von der Familie da war, seine Freundin, Partnerin, Mutter, Vater, Bruder: keiner hat in meine Richtung geblickt. Keiner hat zu mir eine Wort gesagt, nicht einmal die Eltern...

00:02:29: Ich sagte mir dann: Okay, nichts gegen die Eltern selber, aber wenn nicht einmal die Eltern der Meinung sind,

00:02:39: wenigstens ein Wort des Bedauerns zu sagen!

00:02:42: Es hätte doch genauso gut sie treffen können! Hätte dann ihre ganze Familie bei mir vor der Tür gestanden?.

00:02:54: Kein einziges Wort von den Eltern! Was soll ich denn dann von dem Sohn erwarten, wenn die Eltern das nicht einmal für richtig halten?

00:03:00: MORLING: Sie berichten das, was ich oft sehr ähnlich im Gericht erlebe. Es ist sehr selten der Fall, dass ein Täter sich

00:03:10: ehrlichen Herzens entschuldigt, auch über seine Anwälte, um nicht im Prozess vielleicht Fakten zu schaffen, die gegen ihn verwendet werden.

00:03:18: Gerade deswegen wäre es doch wichtig,

00:03:22: dass die Behörden (es gibt einen Opferbeauftragten in Berlin, es gibt Nebenklagevertreter, die sich spezialisiert haben darauf, Opfer von Straftaten oder die Angehörigen zu vertreten)

00:03:36: auf sie zuträten als Opfer? Was haben Sie da als Angehöriger eines Todesopfer, eines Ermordeten

00:03:46: erlebt im Verfahren? Wie ist der Staat, wie sind unsere Behörden mit ihnen und ihrer Familie umgegangen?

00:03:56: WARSHITSKY: Aus meiner Wahrnehmung muss ich sagen, dass seit dem Geschehens,

00:04:05: seit der Tragödie keiner auf mich, weder aktiv noch passiv, zugekommen ist und gesagt hat: Ok, komm, ist jetzt passiert. Ich nehme Dich bei der Hand.

00:04:17: Frag mich alles, was Du willst, oder: Ich erzähl Dir einfach, welche Möglichkeiten Du hast, welche Rechte, was Du zu tun hast,

00:04:24: an wen Du dich zu wenden hast,  in welchen Fall du was machen sollst,  wer sich um was kümmert.

00:04:30: Bis auf das anfängliche Anbieten des polizeilichen Psychologen, als ich am Tattag im Revier war:

00:04:37: Nichts! Ich habe  mir dann gesagt: Wie kann es sein,  ich bin nichtsahnend,

00:04:42: kenne mich in dem ganzen System nicht aus! Ich muss die

00:04:47: Beerdigung organisieren, ich muss irgendwelche Papiere stellen, ich muss mich bezüglich der Wohnung kümmern, ich muss mich um Anwälte kümmern... Wer ist wofür zuständig?  Ich muss zur Polizei... Wer kommuniziert mit wem?

00:04:58: Welche Anwälte sind zuständig? An wen muss ich mich wenden? Also alle "W-Fragen", die man sich stellen kann... Ich war da einfach komplett "lost",

00:05:06: Dunkelheit und ein großes Fragezeichen hatte ich über dem Kopf, einfach Ahnungslosigkeit: Was? Wie? Wo?

00:05:14: Ich musste viele Leute fragen, Freunde, Familie, ich musste Rat einholen:

00:05:21: an wen habe ich mich zu wenden? Wer ist wofür zuständig? Für die Bestattung, für die Beerdigung? Wo kannst du noch einmal den Leichnam von deinem Vater sehen? Wann ist die Beerdigung geplant? Wer kommt dafür auf? Alle diese Fragen...

00:05:36: Mein Vater wurde obduziert. Ich hatte ein großes Problem damit. Ich weiß, wenn er am Steuer sitzt, trinkt er nicht.

00:05:49:

00:05:52: Aber der Staatsanwalt war der Meinung, ihn obduzieren zu müssen um sicherzugehen. Ich hatte damit eigentlich ein Problem.

00:06:01: Ich konnte es rechtlich nicht verhindern, ok..., mit gewissen Entscheidungen kann man leben...

00:06:10: Ich habe vor der Beerdigung gesagt, dass ich darauf bestehe, ihn noch mal ein letztes Mal zu sehen,

00:06:24: bevor sein Körper in die Erde kommt. Die allerwichtigste Frage war für mich vielleicht:

00:06:33: Hat er das Geschehen

00:06:35: vielleicht noch auf irgendeine Art und Weise mitbekommen oder mitbekommen können? Zwei Zeugen hatten nämlich ausgesagt, dass sie ihn noch hatten röchelt hören.

00:06:45: Also war für mich die Frage: Hat er das noch irgendwie für den Bruchteil einer Sekunde vielleicht noch mitbekommen?

00:06:51: Und für mich war es wichtig, das im Prozess zu erfahren

00:06:58: in der Beweisaufnahme. Und ihn natürlich noch einmal als letzten Abschied noch einmal in die Augen zu sehen.

00:07:08: Der Leichnam wurde zwar bestmöglich präpariert und kosmetisch aufgearbeitet,

00:07:17: aber ich glaubte zu erkennen, dass er den Unfall nicht wirklich mitbekommen hat, oder er es gar nicht mitbekommen konnte. Das hat mich erleichtert.

00:07:27:

00:07:29: Und bezüglich der beiden Raser: ich hatte wirklich, abgesehen vom Schmerz, eine extreme Wut und Verzweiflung.

00:07:41: Ich wusste nicht, was ich hätte mit den Beiden anfangen sollen: die Köpfe einschlagen? Gegen die Wand klatschen? Das war mein Gefühl, nur bildlich gesprochen- Das war dieser innerliche Schrei,

00:07:54: dieses Unverständnis: Wieso? Was hat euch dazu bewegt,

00:08:02: mitten auf einer öffentlichen Straße, mitten auf dem Kudamm, oder einer anderen Straße, mitten im Leben, mit

00:08:11: 170, 200 Sachen, egal, mit extrem überhöhter Geschwindigkeit zu rasen?

00:08:19: Oben von Halensee bis unten zum Tatgeschehen, das sind 11 bis 13 Kilometer. Das ist egal ist eine lange Strecke!

00:08:28: Aber der Punkt ist der: Marvin hat ja selber eingestanden und gesagt, dass er ein oder zweimal das sogenannte "Stechen" gewonnen habe gegen Hamdi.

00:08:39: Dieser hat es sich danach nicht eingestehen können und soll noch zwei- oder dreimal Vollgas gegeben haben. Das heißt für mich:

00:08:50: Einem von den beiden war sehr bewusst, dass die zu schnell fahren,

00:08:55: deutlich zu schnell fahren - und Marvin hat es ja selbst zu seiner Beifahrerin gesagt: Was rast der denn da so wie ein Idiot? Was rast der denn da so?

00:09:04: Trotzdem hat er sich entschlossen, weiter aufzuschließen in der Kurve Gedächtniskirche.

00:09:10: Es haben beide in der Kurve abgebremst bzw. sind in Grenzgeschwindigkeit in die Kurve hinein gefahren. Auch da war ihnen wohl bewusst, dass da was passieren kann. Vielleicht weniger, dass da jemand über die Straße laufen könnte,

00:09:24: aber dass ihnen und ihren Fahrzeugen was passieren könnte, wenn die aus der Kurve fliegen und ihre Fahrzeuge beschädigt werden. Das kann doch nicht sein:

00:09:33: Deren Fahrzeuge wichtiger als das Menschenleben!

00:09:38: Und der letzte Punkt bei dem Marvin sind ja diese 70 Meter, glaube ich,  von der letzten roten Ampel vor der Kreuzung.

00:09:46: Da ist er wohl noch einmal 3 Sekunden vom Gas gegangen! Also auch da hat ja irgend etwas zumindest im Ansatz im Kopf "Klick" gemacht vielleicht und dann hat er wieder Vollgas gegeben...

00:09:58: Diese  Unverständlichkeit: du wusstest, und trotzdem...  "Ich ging davon aus, das wird schon schiefgehen. Ich ging davon aus, da wird schon grün werden!"

00:10:06: Junge! Wie debil musst Du sein, wie debil bist Du! Das haben wir natürlich auch in den Videoclips im Verfahren gesehen,  was auf seinem Computer, glaube ich, beschlagnahmt wurde, bzw. seinem USB-Stick bisschen auf seinem USB-Stick:

00:10:18: Da ist er mit seinem damaligen besten Kumpel auch auf dem Kudamm gefahren mit etwas überhöhter Geschwindigkeit und dann haben sie natürlich erst einmal herum gebrüllt...

00:10:28: MORLING: Wer hilft Ihnen und ihrer Familie, seit viereinhalb Jahren mit diesen Gedanken in ihrem Kopf und ihren Gefühlen

00:10:36: umzugehen? Wie werden Sie unterstützt von einem Staat in dem

00:10:44: vielleicht tagtäglich solche Rasereien geschehen, Menschen im Straßenverkehr zu Schaden kommen und

00:10:51: Opfer "übrigbleiben" und deren Angehörige? Wer hilft Ihnen? Was haben Sie persönlich da erlebt? Wie wurde Ihnen geholfen?

00:11:00: WARSHITSKY: Also von offizieller Stelle vermag ich keine Hilfe zu erkennen,

00:11:08: gibt's bis heute nicht. Es hat mich keiner gefragt, wie es mir geht, wie es mir persönlich geht, wie ich jetzt persönlich fühle.

00:11:17: Im Gerichtsverfahren geht's natürlich nur um die Täter und die Tat selber, das ist  verständlich, aber...

00:11:25: Gut, vielleicht argumentiert der Staat, der Gesetzgeber: sie gehen davon aus, dass es ja

00:11:31: psychologische Betreuung gibt, also wenn du als Opfer Probleme hast und nicht klar kommst, was auch immer, gehst du zum Psychologen, Psychiater, was auch immer,

00:11:41: und redest mit ihm, das er mit dir arbeitet, damit dadurch diese Last für den Staat entfällt und er sich nicht weiter damit beschäftigen muss...

00:11:52: MORLING: Gut, auf man muss immer aktiv auf die

00:11:55: Psychologen oder Psychiater zugehen, die, nebenbei gesagt, eine mindestens monatelange Wartefrist haben auch bei akuten Fällen, wie bei so einem fürchterlichen Unfall, bei einer Vergewaltigung, einem Missbrauch u.s.w. Es gibt immer,

00:12:10: große Fristen (jedenfalls in Berlin) bis etwas passieren kann. Was würden Sie denn zukünftig erwarten,

00:12:17: wie man mit Opfern und Angehörigen von Opfern schwerer Straftaten umgehen soll, damit es

00:12:27: etwas abgefedert wird, was den Menschen an Schmerz und Leid widerfahren ist? WARSHITSKY: Im Verlaufe der ganzen Zeit habe ich mir

00:12:37: Gedanken gemacht. Ich habe auch den Opferbeauftragten von Berlin, Herrn Weber, mehrfach getroffen bzw mehrfach mit ihm gesprochen. Damals war ja Johnny K. am Alex getötet worden,

00:12:49: seine Schwester hatte einen Verein gegründet und sie war ziemlich aktiv und präsent.

00:12:55: Ich habe ihn gefragt: "Herr Weber, was muss hier geschehen, was muss hier passieren?"

00:13:01: Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz war ja danach. "Herr Weber, was muss hier in diesem Land passieren,

00:13:10: dass man irgendjemanden hat als zentralen Ansprechpartner, dass einer vielleicht aktiv auf dich zukommt als Erster und sagt: "Ey, pass auf, ich bin der und der und ich bin jetzt der, der Dir nicht mehr  von der Seite weicht!

00:13:22: Ich betreue Dich bis zum Ende, solange es notwendig ist. Ich unterstütze Dich und betreue Dich, mit allen Fragen und allen Antworten,

00:13:30: der Wegweiser für den ganzen kompletten Vorgang."

00:13:36: Irgendjemand, der aktiv auf dich zukommt und sagt: "Okay, pass auf, du hast jetzt die Situation . Schildere doch einfach einmal, wie du dich fühlst, was du denkst! Wie kann ich dir vielleicht helfen? Was, welche Unterstützung brauchst du?

00:13:49: Dass man selber angehört wird, nicht, dass man sich bevormundet fühlt, so wie:"Ach, ich weiß schon alles! Komm, ich zeig´s dir!"

00:13:56: Ich habe Herrn Weber gefragt: Muss ich jetzt einen Verein gründen, um die Raseropfer irgendwie zu repräsentieren bzw. das Problem mit den Rasern der Öffentlichkeit bzw. dem Gesetzgeber irgendwie vielleicht näher zu bringen?

00:14:09: Was muss geschehen? Wieso musste das mit meinem Vater geschehen?

00:14:17: Wieso muss das medial wirklich so erörtert werden? Es freut mich natürlich, dass es so erörtert wurde weil: da ich mit dem Medien spreche

00:14:26: ist das für mich eine andere als der Erleichterung, den Schmerz zu verarbeiten, weil ich kann den Schmerz nach außen schreien.

00:14:34: Ich kann meinen Schmerz nach außen reden. Ich werde angehört.

00:14:38: Ich versuche, den anderen Leuten die Problematik ein bisschen zu beleuchten, dass sie vielleicht sagen: Warte einmal,

00:14:46: bis auf den ganzen Dreck, der da außerdem noch geschieht auf den Straßen:

00:14:51: Gibt es noch andere akute Probleme, auch wenn es zum Glück nur selten passiert? Es kann doch nicht sein, dass deine Straße

00:14:59: gefährlich wird für den Fußgänger und den Radfahrer! Es hätte doch nicht nur meinen Vater im Auto treffen können! Auch eine schwangere Frau hätte es treffen können, ein Kind, vielleicht eine Familie, ein Opa, eine Oma - ist doch egal, wer!

00:15:14: Es hätte jeden treffen können! Wir hatten eine Zeugin, die am Wittenbergplatz stand, der Teile wirklich kurz vor der Nase herumflogen.

00:15:25: Sie hat sagt, dass es wie auf einem Schlachtfeld ausgesehen habe. Heute habe ich im Prozess (Oktober 2020) zum ersten Mal ein Polizeivideo vom Unfall gesehen: es sah noch schlimmer aus, als wie auf einem Schlachtfeld! Selbst Hollywood produziert nicht solche Streifen... Das kann nicht sein!

00:15:35: MORLING: Was auch viele Opfervertreter sagen: Man muss proaktiv auf die Opfer zu treten, man muss ihnen Angebote machen, ohne sie bevormunden zu wollen und man muss sie

00:15:48: an die Hand nehmen, wenn sie das möchten, um sie zu entsprechenden Hilfseinrichtungen zu bringen z.B. WARSHITSKY: Definitiv! Weil wir sehen vereinzelte

00:15:59: Versuche, dass Aufmerksamkeit auf das Geschehen gerichtet wird,

00:16:05: von den jeweiligen Opfern, von den jeweils Betroffenen.  Kürrzlich erst am Kudamm, wo die Mutter immer noch im Koma liegt (am 31.08.2020 soll ein 29-jähriger mutmaßlicher Kudammraser bei einem Unfall ein Auto gerammt haben. Eine 45-jährige wurde mit ihrer 17-jährigen Tochter Opfer. Der 29-jährige mutmaßliche Unfallverursacher wurde am 02.10.2020 festgenommen).

00:16:14: Auch die Tochter hat auf eigene Regie einen Schrei nach Öffentlichkeit versucht: "Hallo Leute, wir sind nur ein Fall von vielen!"

00:16:25:

00:16:26: Das Ganze müsste konzentrierter erfolgen! Diese Hilfestellung, dass man weiß, es gibt einen Ansprechpartner, den man jederzeit anrufen kann und der auch dich einmal einfach aktiv anruft: Hey, wie geht's Dir?

00:16:38: Wie fühlst Du Dich? Einfach ein bisschen reden! Diese Freundschaft aufzubauen, diese freundschaftliche Atmosphäre, damit man sich als Opfer nicht alleingelassen fühlt.

00:16:49: Nicht allein gegen alle, sondern dass man sich einfach mal aufgefangen fühlt, diese Abfederung, das Wissen, ich bin nicht allein,

00:16:59: hinter mir stehen auch andere Opfer mit demselben Problem, mit ähnlichen Problemen.

00:17:05: Und ich weiß dann, ich werde unterstützt, denn ich bekomme Hilfe und wenn ich irgendeine Frage habe, kann ich jederzeit anrufen und fragen!

00:17:14: Und wenn er keine Antwort weiß, dann macht er sich schlau und bringt die Antwort in Erfahrung und sagt mir: Du hast eine Frage gehabt und ich habe jetzt die Antwort.

00:17:24: Das ist das, was hier fehlt, diese Hilfestellung,  proaktiv auf die Opfer von schweren Taten zuzugehen und zu sagen:

00:17:33: Komm, du bist jetzt nicht alleine! Ich helfe dir,  wir sind gemeinsam.

00:17:39: MORLING: Nachdem,  was und wie Sie es erlebt haben, den Umgang mit Ihnen und Ihrer Familie, auch hier in den Prozessen,

00:17:49: würden Sie sagen, es hat sich für Sie gelohnt, im Sinne von ´es hat zur Bewältigung

00:17:59: des Todes ihres Vaters beigetragen und es ist richtig, dass Sie das gemacht haben´, auch wenn wir das Urteil im vierten Prozess noch nicht kennen?

00:18:08: WARSHITSKY: Aus meiner Sicht: Definitiv! Durch die Tragödie,

00:18:16: durch die Aufmerksamkeit, die nach der Tragödie aufkam,

00:18:23: hat sich der Gesetzgeber endlich entschlossen bzw dazu bewegen lassen, das Gesetz entsprechend anzupassen (2017 wurde ins Strafgesetzbuch der §315(d) aufgenommen, der Teilnahme an tödlichen Straßenrennen mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft), wenn auch vielleicht aus meiner Sicht,

00:18:33: ich bin kein Jurist, doch ein bisschen zu lasch. Es müssten härtere Strafen ins Gesetz, weil: Lappen weg, Auto weg -

00:18:47: danach reden wir! Das wäre das, was den Rasern weh tut, was die schmerzt, wo sie dann sagen: Scheiße!

00:18:54: Erst danach, ich weiß nicht wieso, aber erst danach (dem tödlichen Unfall meines Vaters) wurden die Gesetze

00:19:00: geändert, angepasst. Und auch wieder erst jetzt, nach dem erneuten Crash auf dem Kudamm

00:19:08: kommt wieder eine Diskussion auf: Wir müssen jetzt endlich mal was machen! Aber wo wart ihr denn in den letzten  viereinhalb Jahren? Wieso ist da nichts passiert? Wieso muss da jetzt erneut ein Unfall passieren, damit sie sagen: "Wir müssen was machen!"

00:19:20: Jetzt warten wir wieder vier,  viereinhalb, fünf Jahre bis zum nächsten Crash?

00:19:25: "Ach, da war ja was! Wir wollten da etwas machen!" Das geht doch nicht! Reden ist ja schön und gut, diskutieren und überlegen. Aber da muss endlich mal Sache gemacht werden! Da müssen

00:19:36: definitiv einfach einmal Fakten geschaffen werden! Ob jetzt durch Blitzer, was trotzdem meiner Meinung nach nichts ändern würde an dem Geschehen,  außer dass ein bisschen mehr Geld in die Kasse tropft.

00:19:51: Aber: was bringen diese Blitzer den Opfern selber oder was werden sie an der Situation ändern? Wenn ich ein Raser wäre, dann würde ich doch wissen, da sind Blitzer, ich weiß, da steht ein fester Blitzer.

00:20:05: Dann stoppe ich oder bremse kurz ab vor dem Blitzer und rase gleich danach weiter. Was ändert das, wenn vielleicht auf einer kleinen Teilstrecke dann abgebremst wird?

00:20:16: Das ist doch nicht Sinn und Zweck der ganzen Sache! Ob eine bauliche Veränderung oder irgendwelche Einschränkungen sei mal dahingestellt, aber irgend etwas Vernünftiges, Sinnvolles

00:20:27: muss geschehen! Es geht nicht anders, es gibt kein Zurück mehr wegen der Opfer! Von mir aus gerne mit dem Kudamm anfangen

00:20:37: und mit den anderen betroffenen Straßen, wo gerast wird, fortfahren - abgesehen von erhöhter polizeilicher Kontrolle!

00:20:48: MORLING: Um das Gespräch vielleicht irgendwie positiv zu beenden: Sie hatten ja ganz offensichtlich auch  Menschen, die Ihnen geholfen haben, die ihrer Familie geholfen haben.

00:21:00: Vielleicht auch im Hinblick auf zukünftige Opfer, die es hoffentlich nicht geben wird, aber trotzdem geben wird:

00:21:10: Was sollte jemand tun, der Opfer einer fürchterlichen Straftat wird, der Angehöriger ist? Wie könnte der sich vielleicht, wenn Sie jetzt ihr Beispiel nehmen, wie könnte der sich vielleicht helfen?

00:21:25: WARSHITSKY: Das ist schwer zu pauschalisieren, weil jeder

00:21:30: fühlt und denkt anders und jeder ist natürlich individuell in einen anderen Fall verwickelt.

00:21:36: Es ist leicht gesagt, aber man sollte versuchen, kühlen Kopf zu bewahren, wenn es geht

00:21:45: und klare Gedanken. Vielleicht an den Opferbeauftragten wenden,

00:21:54: um erst einmal einen Meinungsaustausch zu bekommen: Was hat jetzt zu passieren?

00:22:01: Solange es nicht diese proaktive Unterstützung gibt, wo man gesagt bekommt, an wen er sich jetzt wenden könnte und in welchen Fällen. Es gibt geschätzt 1000 Vereine,

00:22:11: die für irgend etwas zuständig sind. Aber keiner kommt auf Dich zu, keiner bietet dir seine Leistung an. Erst musst du dich an die wenden. Ich gehe davon aus, dass der Opferbeauftragte nicht nur den direkten Draht hat, und

00:22:24: da etwas bewirken könnte.  Aber auch einer, der sich auskennt und weiß, in deiner Lage wäre für dich als Opfer

00:22:33: vermutlich dieser oder jener Ansprechpartner der bessere, abgesehen von der Hilfe, Rechtsanwälte zu finden, die sich in deinem Fall,

00:22:45: in deinen Bereichen auskennen und deine Interessen vertreten würden.

00:22:54: Anders kommt man hier nicht weiter... MORLING: Und Bekannte, Freunde, die Familie?

00:23:00: WARSHITSKY: Das ist ein Must-Have! Bekannte, Freunde und Familie sind selbstverständlich. Ohne Bekannte, Freunde und Familie

00:23:08: bist du hier nichts. Du bist aufgeschmissen ohne deren Hilfe oder ohne deren Unterstützung. Auch ich wäre heute nicht hier ohne sie. Ohne sie hätte ich

00:23:18: wahrscheinlich auch garnicht die Kraft gehabt, bis heute diese viereinhalb Jahre

00:23:25: zu kämpfen und dieses Leid immer wieder anzuhören und zu ertragen. Immer wieder anzuhören, was passiert ist, wie es passiert ist,

00:23:33: diese Bilder vor Augen, das Geschehnis...Und das wahrscheinlich Schlimmste: den bzw. die Täter sehen zu müssen

00:23:43: und die inneren Gefühle zu bekämpfen, als Nächstes würde ich

00:23:47: doch gern... weil: er ist schuld an dem unsinnigen Tod, an den unsinnigen Leid, was mir und meiner Familie als Opfer angetan wurde,

00:23:56: widerfahren ist und noch widerfährt. Womit ich zu kämpfen habe: Es ist ein komplett anderes Leben jetzt, es ist nicht mehr das, was es früher war.

00:24:05: Ich kann es nicht mit Worten fassen.

00:24:12: Es ist wie ein neues Kapitel in einem Buch,

00:24:17: dass man verarbeiten muss. Ich persönlich versuche, das Geschehen mir nicht zu nahe kommen zu lassen.

00:24:26: Außer, wenn ich das jetzt im Gericht oder beim Interview erzähle.

00:24:32: Aber ich habe meinen Vater so in Erinnerung, wie er für mich war, als Vater, als Freund! Und so wird er in meiner Eriinnerung auch für immer bleiben!

00:24:41: Das gibt mir zusätzlich Kraft, das durchzustehen.

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