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"Letzte Generation": "Wo Politik nach Strafrecht ruft, endet ein Diskurs"

Shownotes

Die Bundesregierung nennt es "Generationenvertrag für das Klima" Homepage Bundesregierung 07.11.2022 Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes (nach dem zwingenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021) Beschluss Bundesverfassungsgericht vom 24. März 2021 habe die Bundesregierung die Klimaschutzvorgaben verschärft und das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken.

Reichen diese Vorhaben aus, um die Klimaziele einzuhalten und die Klimakatastrophe zu verhindern? U.a. am 12.Juni 2023 legten Rechtsanwälte der Partnerschaft Günther in Hamburg für die "Agora Verkehrswende und Agora Energiewende" unter Mitarbeit einer Mitarbeiterin der Agora Energiewende ein Gutachten vor zur Reform des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Gutachten Rechtsanwälte Günther/ Agora Energiewende

Jurist, Strafrechtsexperte, Strafverteidiger und Sachverständiger Stefan Conen kritisiert im Interview mit Gerichtsreporter Morling einige Aspekte, die die Proteste/ Aktionen gegen die Klimakatastrophe betreffen: eine möglicherweise demokratiegefährendende Funkionalisierung der Justiz durch die Politik, so auch die mögliche Anwendung des § 129 Strafgesetzbuch, die durch die Razzia der Generalstaatsanwaltschaft München am 24. Mai 2023 gegen Mitglieder der "Letzten Generation" durchgeführt wurde. Die Genralstaatsanwaltschaft hatte danach kurzfristig gemeldet: »Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB (Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung) dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)« LTO zur Razzia und Ververurteilungen durch die Generalstaatsanwaltschaft München Strafrechtlicher Conens Credo ist eindeutig: "Politische Antworten sind im politischen Raum zu finden, aber nicht im Strafrecht zu suchen!"

Vita Rechtsanwalt Stefan Conen (55) 1992 – 1996 Studium an der Freien Universität Berlin 1996 – 1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie und Strafprozess Ab 2000 ausschließlich als Strafverteidiger tätig Bis 2022 1. Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V. Diverse Veröffentlichungen sowie Veröffentlichungen in Kommentaren zur Strafprozessordnung und zum Strafgesetzbuch. U.a. Mitglied im Strafrechtsausschuss des DAV, regelmäßig als Sachverständiger zu strafrechtlichen und strafprozessualen Fragen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages geladen, Lehrbeauftragter der Freien Universität Berlin für Strafprozessrecht

Exemplarische Gerichtsentscheidungen zu Aktionen von Klimaaktivistinnen und Statistik (Stand Ende Juni 20239 05.10.2022 Amtsgericht Tiergarten: Von der Staatsanwaltschaft beantragter Strafbefehl gegen eine Aktivistin der „Letzten Generation“ wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Nötigung wird abgelehnt. Die Beschuldigte hatte im Juni 2022 mit anderen in Friedrichshain eine Kreuzung dreieinhalb Stunden lang blockiert und sich festgeklebt. „Die Gewalthandlung muss eine dienstliche Vollstreckungshandlung nicht unerheblich … erschweren“, um Widerstand verurteilen zu können, heißt es in der Ablehnung des Strafbefehls u.a.. Die „körperliche Tätigkeit der Beamten“ habe aber lediglich in dem „Heben“ der betreffenden festgeklebten Hände“ bestanden, um das Lösungsmittel auch unter die Hand zu bringen. Damit sei keine Erheblichkeitsschwelle körperlicher Betätigung erreicht, um zu verurteilen. Zum Nötigungsvorwurf entscheidet das Gericht, dass aus den „Akten nicht zu entnehmen“ sei, das durch die Sitzblockade behinderten Autofahrerinnen genötigt worden seien. 18.10.2022 Amtsgericht Tiergarten verurteilt einen 21-jährigen Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen á 20 Euro wegen Nötigung. Der Student hatte im Februar 2022 die A 100 im freitäglichen Berufsverkehr blockiert." Ich nehme ihr Anliegen ernst, aber ich missbillige ihre Mittel", sagt der Jugendrichter in der Urteilsbegründung wörtlich. „Sie haben sich absolut antidemokratisch verhalten!“ Der Angeklagte begründete die Aktion so: „Ich stehe zu meiner Tat… es sterben schon jetzt mehr Menschen durch Hitzewellen, als durch Corona.“ 18.01.2023 Das Landgericht Berlin verwirft die Berufung des 21-jährigen Studenten, der vom Amtsgericht verurteilt worden war und bestätigt damit erstmals die Verurteilung eines Klimaaktisten wegen Nötigung. Durch das Verhalten des Angeklagten seien die Autofahrerinnen im Stau physisch für eine nicht unerhebliche Zeit blockiert worden. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass Straßenblockaden grundsätzlich als Nötigungshandlung zu bewerten seien. Zwar hätten die Demonstranten das Demonstrations- und Versammlungsrecht auf ihrer Seite. Die weitergehenden Ziele der Aktivisten – namentlich der Schutz des Klimas – seien für die strafrechtliche Bewertung nicht zu berücksichtigen. 20.04.2023 Das Amtsgericht Heilbronn verurteilt zwei Männer und eine Frau wg. Nötigung durch eine Straßenblockade zu fünf, vier und drei Monaten ohne Bewährung. 20.04.2023 Das Landgericht Berlin entscheidet, dass das Ankleben auf der Straße bei einer Klimaaktion kein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sei. Im Mai 2022 hatte sich die Angeklagte mit den elf weiteren „Muttis gegen den Klimawandel“ am Schaufenster einer Bank festgeklebt. In drei Minuten sei die Angeklagte von der Scheibe gelöst worden, das „habe keine Amtshandlung erfordert, die mit nicht unerheblichen Kraftaufwand verbunden gewesen wäre“, eine der Voraussetzungen für die Verurteilung wegen Widerstands. Außerdem sei die Demonstration von Artikel 8 des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit) gedeckt. 26.04.2023 Amtsgericht Tiergarten verurteilt erstmals zu einer Haftstrafe in Berlin. Die 24-jährige Klimaaktivistin hatte sich im August 2022 in der Berliner Gemäldegalerie an den Rahmen eines Cranach-Gemäldes geklebt. Sie kündigte weitere Aktionen an und wird zu vier Monaten Haft u.a. wegen gemeinschädlichen Sachbeschädigung verurteilt 05.05.2023 Das Berliner Kammergericht beschließt in der bisher einzigen Entscheidung des Berliner Obergerichts, ein Urteil des Amtsgericht vom Oktober 2022 aufzuheben. Es „ergibt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keine tragfähige Grundlage für die gebotene sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweisführung.“ Das bloße Geständnis des Klimaakivisten reiche nicht für seine Verurteilung aus. Die Gerichte seien verpflichtet, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen und in jedem Einzelfall konkret Nötigung bzw. Widerstand festzustellen und in der Beweisführung darzulegen. 31.05.2023 Das Landgericht Berlin beschließt, dass bei einer vorgeworfenen Klimaaktion keine vorgeworfene Nötigung von Autofahrerinnen vorliege, weil die Aktion nicht verwerflich gewesen sei (die Voraussetzung für eine Verurteilung). „Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen ist in dem hier allein zu bewertenden konkreten Einzelfall von einem Überwiegen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit des Angeschuldigten und seiner Mittäter gegenüber dem Grundrecht der betroffenen Verkehrsteilnehmer in Form der Fortbewegungsfreiheit …auszugehen.“ Allerdings müsse das Amtsgericht jetzt prüfen, ob nicht der Klimaaktivist Widerstand geleistet habe. 04.07.2023 Das Amtsgericht Leipzig spricht fünf Klimaaktivisten nach einer Sitzblockade der „Letzten Generation“ im Juni 2022 vom Vorwurf der Nötigung frei. Die Aktion sei nicht verwerflich, weil das Grundrecht der Angeklagten auf Versammlungsfreiheit überwiege. Nur mehrere Minuten sei der Verkehr behindert worden, Polizei und Presse seien zuvor informiert gewesen. "Der Protest richtete sich gegen die Folgen der Klimakrise und speziell gegen den Autoverkehr", begründete die Amtsrichterin lt. dpa ihr Urteil, dass noch nicht rechtskräftig ist.

**Bis heute hat das Berliner Kammergericht als oberstes Gericht der Hauptstadt und Revisionsinstanz noch nicht entschieden darüber, ob die Rechtsfragen richtig in den gerichtlichen Vorinstanzen entschieden wurden zu den Aktionen der Klimaaktivisten. Noch im Juli 2023 wird eine -für Berlin- höchstrichterliche- Grundsatzentscheidung erwartet. ** Richterinnen der Verkehrabteilungen des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin warten trotz ihrer gesetzlich verankerten Unabhängigkeit auf eine obergerichtliche Entscheidung des Kammergerichts, ob angeklagte Klimaaktivistinnen rechtsfehlerfrei wegen Nötigung oder Widerstands verurteilt werden können. Laut Generalstaatsanwaltschaft haben die Berliner Ermittler bisher 1.972 Verfahren gegen Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ geführt, das Amtsgericht Tiergarten sprach danach bisher 107 Urteile aus bis zu einer unbedingten Haftstrafe von vier Monaten. 736 Strafbefehle (das ist ein schriftliches Urteil ohne Prozess, wo regelmäßig Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis höchstens einem Jahr ohne Gerichtsverhandlung verhängt werden können) hat die Staatsanwaltschaft bisher beantragt. 53 der bisher ergangenen Urteile sind danach bis zum 19.Juni 2023 in Berlin rechtskräftig geworden.

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Interview Rechtsanwalt/ Strafverteidiger/ Sachverständiger Stefan Conen

Morling: Herr Conen, inzwischen gibt es sogar Haftstrafen gegen Vertreter der „Letzten Generation,“ es gibt Anordnungen in Bundesländern, Klimaaktivisten schon vor möglichen Straftaten in Gewahrsam zu nehmen. Einige Vertreter der Politik wie der Bundeskanzler sagen zum Beispiel, die Aktionen der Letzten Generation seien „völlig bekloppt“. Gibt es aus ihrer Sicht eines Juristen in den letzten Jahren zunehmend die Tendenz, von der Politik auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen?

Conen: Ich weiß nicht, ob es die unmittelbare Intension ist, auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen mit Äußerungen von Politikern. Was ich aber glaube ist, dass die Politik zunehmend von der Justiz Antworten auf politische Werturteile erwartet, die ihren Werturteilen entsprechen. Aber das ist nicht die Aufgabe von Strafjustiz, Antworten auf gesellschaftliche Phänomene zu liefern, sondern die Aufgabe von Strafjustiz ist es, streng an den Tatbeständen individuelle Schuld festzustellen - oder eben nicht.

Morling: Was bedeutet aus Sicht eines Strafverteidigers das Ermittlnugsverfahren wegen einer „Kriminellen Vereinigung“ gegen Mitglieder der „Letzten Generation“?

Politisches Werturteil: „Kriminelle Vereinigung“

Conen: In der Politik wird gerade bei der „Letzten Generation“ die „kriminelle Vereinigung“ als politisches Werturteil sehr stark in den Raum gestellt, manche Staatsanwaltschaften scheinen das gern zu übernehmen. Das ist allerdings hochumstritten, ob das zutreffend ist oder nicht. Ich finde es besorgniserregend, dass man den § 129 StGB jetzt herausholt, um die „Letzte Generation“ fast exemplarisch zu labeln. Man könnte sich umgekehrt ja auch fragen, warum im sogenannten „Abgasskandal“ beispielsweise meines Wissens noch niemand auf die Idee kam, Manager von Mercedes oder VW als „Kriminelle Vereinigung“ zu verdächtigen? Die Tatbestandsmerkmale würden nämlich genau auf die Voraussetzungen des § 129 dann auch passen: Es sind mehr als zwei Konzernmitarbeiter, die damals dauerhaft den strafrechtlichen Betrug vom Kunden mit Abschaltvorrichtungen geplant haben sollen. Im Gegensatz zu den Klimaklebern könnten die sich aber nicht darauf berufen, ein verfassungskonformes Fernziel verfolgt zu haben, weil sie durch den mutmaßlichen Betrug die Umwelt ja nicht schützen wollten, sondern -im Gegenteil- ihre weitere Schädigung in Kauf genommen hätten.

Morling: Könnte man sagen, dass einem gesellschaftlichen Diskurs in gewissem Sinne aus dem Weg gegangen wird und der Justiz eine Verantwortung zugeschoben wird aus ihrer Sicht, die in einem gesellschaftlichen Diskurs gehört?

Conen: Ich weiß nicht, ob das so zutreffend ist. Was aber tatsächlich der Fall ist: in dem Moment, wo die Politik auch nach dem Strafrecht ruft, dass in diesem Moment ein Diskurs endet. Denn es ist genauso Konsens in der Gesellschaft das dann, wenn es um strafbare Handlungen geht, dass das einer politischen Diskussion relativ die Grundlage entzieht bzw. die Diskussionsteilnehmer, wenn sie kriminalisiert werden, aus dem Diskurs auch ausgeschieden werden. Ja, das ist der Fall – wieviel Berechnung dahinter steht, maße ich mir nicht an, zu beurteilen, aber das Ergebnis ist das, was Sie ansprechen. ja!

Morling: Was halten Sie als Organ der Rechtspflege davon, wenn Politiker*innen in Statements zum besten geben, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ Nötigungen sind, dass da auf jeden Fall auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen wird? Wie wirken sich solche Vorverurteilungen auf die Rechtspflege aus?

Morling: Unabhängigkeit der Justiz ist zu respektieren

Conen: Man muss unterscheiden: wenn solche Äußerungen fallen, bevor Urteile gesprochen sind und eine höchstrichterliche Klärung da ist, dann wirkt das wie eine Erwartungshaltung, die einen gewissen Druck auf die Justiz ausübt. Die Justiz muss sich dann legitimieren, wenn sie zu anderen Ergebnissen kommen sollte. Als ich aufwuchs, gab es noch den guter Konsens im Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, politisch nicht zu kommentieren, sondern die Unabhängigkeit der Justiz zu respektieren. Das ist ein Verfassungsgut und die Wertung im strafrechtlichen Bereich muss deshalb der Justiz überlassen werden. Man sollte eigene Wertung nicht vorab in den Raum stellen und die Justiz fast als Annex, als ausführendes Organ politischer Erwartungen, behandeln.

Ich glaube allerdings wieder, dass das nicht so bewusst passiert, dass in dem Sinne Politiker sich hinstellen und sagen würden: Wir erwarten das jetzt! Ich glaube allerdings, dass es Politkern bewusst sein muss, wenn sie solche Vorverurteilungen in den öffentlichen Raum tragen, dass das natürlich Justiz unter Druck setzen kann und die Justiz bei anderer Entscheidungsfindung teilweise auch ein Stück delegitimiert bzw. enttäuscht. Ich finde, gerade Justizpolitiker Justizminister, Justizsenatoren und -senatorinnen sollten sich äußerst zurückhalten, um nicht in irgendeiner Form auch nur den Anschein zu erwecken, dass sie in die Unabhängigkeit der Justiz eingreifen wollten. Das sehe ich teilweise jetzt anders: Wenn ich höre, dass bei der Justizsenatorin noch einmal eigenständig geprüft werden soll, ob die Wertung der (Berliner) Staatsanwaltschaft, dass die „Letzte Generation“ wohl nach einem Zwischenstand nicht als kriminelle Vereinigung zu verfolgen sei, nochmal einer Bearbeitung bedarf. Diese Herangehensweise ist mit Sicherheit keine Sternstunde des Rechtsstaats!

Morling: Ich möchte zur Berichterstattung in der Presse kommen: Dort wird u.a. auch von der „Klima-RAF“ geschrieben. Was tragen solche Schlagzeilen der Presse zu einem gesellschaftlichen Klima bei, was es Ihnen u.U. als Verteidiger schwer machen könnte, ein unbefangenes rechtsstaatliches Urteil zu erreichen, was unabhängig von der öffentlichen Meinung erfolgt?

Conen: Wenn die Presse, die ja auch eine eigene unabhängige Aufgabe in unserer Gesellschaft hat, Prozesse nicht mehr begleitet, sondern teilweise wie die Politik Erwartungen formuliert, Label an angeklagte Personen heftet, ob es „Klima-RAF“ oder ähnliches ist, dann ist das ein Problem: Justiz ist dazu da, unabhängig auf möglichst bester Grundlage - dazu hat die Justiz die Mittel, indem sie Zeugen vorladen kann, die aussagen müssen – die Wahrheit zu ermitteln. Wir sind gut beraten, dass auch der Justiz zu überlassen und das zu respektieren. Wenn die Presse bereits vorab in bestimmten Punkten meint, die Wahrheit gepachtet zu haben, dann trägt das natürlich dazu bei, die Justiz unter Druck zu setzen und ihre Urteile vielleicht auch teilweise zu delegitimieren.

Ich glaube, dass sich die Presse in den letzten Jahren gewandelt hat in der Begleitung von Prozessen, dass Erwartungen produziert werden, was aber, glaube ich, auch mit einer anderen Medienlandschaft und zunehmendem Konkurrenzdruck unter den digitalen Medien zu tun hat– es geht um Schnelligkeit und nicht Gemächlichkeit, was der Presse gut anstehen würde in der Begleitung von Prozessen. Ich arbeite seit zwanzig Jahren als Anwalt und auch die Justiz hat in dieser Zeit die Presse teilweise für sich entdeckt: zum Beispiel die Presseverlautbarungen der Generalstaatsanwaltschaft. Die pflegt ja auch schon ein bestimmtes Klima und Erwartungshaltungen. Insofern müssen wir aufpassen, dass wir in strafrechtlichen Fragen nicht selber einen Parallelprozess in der Öffentlichkeit produzieren, der mit dem Strafprozess konkurriert. Der Strafprozess wird immer langsamer sein als die Medien. Aber wir haben uns als Gesellschaft eigentlich darauf geeinigt, dass das der erste Ort ist, wo wir versuchen, die Wahrheit zu finden.

Morling: In einem Vortrag haben Sie in diesem Jahr von 1935 gesprochen. Bei den Nazis, die das Strafrecht „ultimativ funktionalisierten“, wie Sie sagen, führte das u.a. ab 1935 zu § 2 StGB. Der lautete: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“

Morling: Das „gesunde Volksempfinden“ wurde damals eingefügt. Damit sollte dem vermeintlich gesellschaftlichen Anspruch einer Verurteilung Rechnung getragen werden. Das hatten Sie in dem Vortrag hinentwickelt zur heutigen Zeit - ohne die NS-Zeit mit heute gleichsetzen zu wollen, wovon Sie sich auch betont abgrenzen. Können Sie das kurz erläutern?

Morling: Politische Antworten sind im politischen Raum zu suchen, nicht in der Strafjustiz

Conen: In dem Moment, wo ein Phänomen gesellschaftlich geächtet wird und die Gesellschaft nicht eine politische Reaktion oder eine im gesellschaftlichen Diskurs erwartet, sondern sofort auf das Strafrecht blickt, stellt sich häufig heraus, dass das Strafrecht dafür wenig taugt. Das liegt daran, weil dessen Tatbestände eng sind und, wenn man es korrekt auslegt, es sogenannte „Strafbarkeitslücken“ gibt (ein Begriff, den ich schrecklich finde), wo auf den Gesetzgeber geschaut wird, um die zu schließen. In dem Moment wo das Strafrecht nicht mehr als ultima ratio der Gesellschaft betrachtet wird, nämlich als Antwort auf individuelle Normbrüche, die einfach nicht mehr tolerabel sind, sondern es auch es im politischen Raum Antworten geben soll, führt das oft zwangsläufig zu der Erwartung, dass die enge Gesetzesbindung solchen Antworten der Justiz nicht mehr im Wege stehen sollte. Im Extremfall haben das die Nationalsozialisten gemacht, die das Strafrecht funktionalisiert haben und es beliebig einsetzen wollten, um Gesellschaft zu disziplinieren und vor allem auch politisch abweichendes Verhalten zu diskriminieren. Davon sind wir natürlich ganz, ganz weit weg. Aber man muss verdammt aufpassen, auch mit Blick auf die Geschichte, dass man nicht der Versuchung erliegt, das Strafrecht auch als politisches Instrument in die Waagschale zu werfen. Dafür ist es nicht gemacht. Es geht um individuelle Schuld: Politische Antworten sind im politischen Raum zu finden, aber nicht im Strafrecht zu suchen!

Morling: Es geht um individuelle Schuld, wenn man auf sogenannte „kriminelle Familienclans“ blickt, aber auch, wenn man auf bestimmte andere Bevölkerungsgruppen sieht, Stichworte: „Asylanten“, „IS-Terroristen“ oder jetzt aktuell, die „Letzte Generation“. Sehen Sie die Tendenz, unbequeme politische Konflikte in Richtung des Strafrechts zu schieben, das den Konflikt dann lösen soll?

Conen: Die Tendenz sehe ich auf jeden Fall. Allein schon, wenn man einzelne Personen Phänomenen zuordnet: sei es „Clan-Kriminalität“, sei es die „Letzte Generation“. Dann steht, manchmal mehr und manchmal weniger, unausgesprochen auch das Phänomen mit vor Gericht, (was die Angeklagten vermeintlich repräsentieren). Wenn man diese Metaebene betritt, dann wird natürlich die individuelle Schuld, um die es eigentlich nur geht, vernebelt. Dann muss man als Verteidiger im Strafprozess den Angeklagten zuerst einmal entkleiden von der Zuschreibung, die ihm gemacht wird… Die „Letzte Generation“ bietet sich als Zuschreibung vielleicht an: Wenn sich jemand spontan aus Überzeugung und Verzweiflung über das, was von dieser Erde in fünfzig Jahren vielleicht von dieser Erde übrigzubleiben droht, spontan das erste Mal auf die Straße klebt und er wird dann diesem Phänomen zugeordnet, wo manche sogar von „Klima-RAF“ reden... So wird man diesem Individuum aber mit Sicherheit nicht gerecht. Man wird aber auch dem Angeklagten nicht gerecht, der einen bestimmten Nachnamen trägt, der eine sogenannte „Clanzugehörigkeit“ angeblich verheißt und man ihn dann, ich habe solche Fälle gehabt, nicht mit einem bislang blanken Bundeszentralregisterauszug als einen unvorbestraften unbescholtenen Menschen vor Gericht wahrnimmt, sondern im Prinzip als einen Angeklagten, in dessen Genetik vermeintlich kriminelles Handeln einprogrammiert ist. Diesem Angeklagten wird man auch nicht gerecht bei der Beurteilung seiner individuellen Schuld.

Conen: Letztlich ist das sogar ein verfassungsrechtliches Problem, weil die Verfassung von einem Schuldstrafrecht ausgeht, das individuell ist und nicht von einer Lebensführungs- oder einer Zugehörigkeitsschuld ausgeht. Diese Art von Schuld ist unserem Denken eigentlich völlig fremd und deshalb ist man m.E. nie gut beraten, wenn man mit solchen Phänomenen arbeitet und sie dann auch vermeintlich vor Gericht klären will. Das ist nicht die Aufgabe der Strafjustiz, es geht immer u -m individuelle Schuld!

Morling: Aber wie kann man eine Zuschreibung, die ja auch von der Presse beispielsweise leicht zu tranportieren ist, verhindern? Wie müsste man aus ihrer Sicht einen Angeklagten so differenziert in seinem Prozess einführen, dass wirklich nur die individuelle Schuld beurteilt wird und nicht eine kriminelle Gruppe, die vermeintlich hinter dem Angeklagten steht?

Conen: Es liegt meines Erachtens gerade in der Verantwortung von Justizpolitikern, die Erwartung von der Justiz fernzuhalten, dass gesellschaftliche Phänomene - stellvertretend dafür ein Angeklagter vor Gericht - mit abgeurteilt werden. Die Justiz hat unabhängig über individuelle Schuld im Gerichtsverfahren zu urteilen und hat ja keine starke Stimme im politischen Raum. Das kann man auch nicht wollen, dass die Justiz sich an der politischen Diskussion beteiligt, weil sie sonst genau in diesen Sog hineingerät. Davon ist sie m. E. fernzuhalten. Es ist die Aufgabe von Politikern, das natürlich auch zu transportieren als DNA unseres Rechtsstaats.

Morling: Aber sind die Aktionen der „Letzten Generation“ nicht genau der Fall einer „Strafbarkeitslücke“, wo es einen politischen Konflikt gibt zu unserem Umgang mit der Umwelt und der Klimakatastrophe, der dann versucht wird, auf die juristische Ebene zu tragen und der Blick damit weggelenkt wird von der Politik und deren Entscheidungen?

„Kriminelle Vereinigung“: „Letzte Generation“ wird massiv politisch isoliert“

Conen: Ich bezweifle, dass es sich bei den Aktionen der „Letzten Generation“ um eine Strafbarkeitslücke handelt, denn die Aktivisten werden ja verurteilt: Erstens wegen Nötigung, teilweise wegen Verkehrsdelikten, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, dazu kommt das Damoklesschwert „Kriminelle Vereinigung“. Mit dem Tatbestand der „Kriminellen Vereinigung“, wird die „Letzte Generation“ natürlich massiv politisch isoliert und diese Zuschreibung hat massive Auswirkungen auf sie: man ist ja nicht nur völlig zu Recht politisch diskreditiert, wenn man eine kriminelle Vereinigung wäre. Aber bereits wenn dieser Anfangsverdacht artikuliert wird, bedeutet das ja: ich könnte als Anwalt nicht mehr ungefährlich die „Letzte Generation“ beraten. Ich könnte zwar Vertreter individuell verteidigen, aber wenn ich eine Vorfeldberatung machen würde, wie man vielleicht Strafbarkeit vermeinden könnte, würde ich Gefahr laufen, potenziell wegen „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ selber verfolgt zu werden. Ein enger Freund von mir ist Professor, der schon vor den ersten Strafurteilen gegen Aktivisten der „Letzten Generation seine Studenten gewarnt hat, sich auf die Straße zu kleben, weil er gewusst hat, wie die Nötigungsrechtsprechung ggf. darauf reagieren könnte. Er hat seinen Studenten gesagt: Bevor ihr euch auf die Straße klebt überlegt lieber, ob ihr nicht in anderer Form denen Zuwendungen gebt o.ä. Der hat mich später angerufen und gefragt, als das Label „kriminelle Vereinigung“ noch garnicht da war: Um Gottes Willen, werde ich jetzt möglicherweise als Unterstützer einer kriminellen Vereinigung verfolgt?

Morling: Sie meinen jetzt Menschen, die der „Letzten Generation“ Spenden überweisen?

Conen: Na klar! Denn die „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ wäre kriminell. Damit würde nicht nur die Frage, wie mit der „Letzten Generation“ umzugehen ist, von dem politischen auf den rechtlichen Raum verlagert, sondern diese Umweltaktivisten, über deren Aktionen im Einzelnen man streiten kann, wären zum gesellschaftlichen Paria erklärt worden. Das Label in der Presse „Klima- RAF“ ist ja die Spiegelung davon, dass man nicht nur im juristischen, sondern auch im gesellschaftlichen Raum aus der Diskussion ausgeschieden wird. Das ist für eine Bewegung, deren Mittel streitbar aber alle einig sind, dass die „Letzte Generation“ ein verfassungslegitimes Ziel verfolgt, ein großes Problem.

Conen: Es ist fast ein Hohn, was ich dann manchmal in der Presse lese, dass Richter den Aktivisten der „Letzten Generation“ bescheinigen, dass sie ganz tolle Ziele haben nur leider das falsche Mittel gewählt hätten. Das kann man beim Vorwurf der kriminellen Vereinigung dann nicht mehr ernsthaft sagen, wenn jeder Mensch, der diese Menschen unterstützt oder zu ihnen Kontakt hat im Prinzip gewahr sein muss, dass er selber ins Visier gerät als „Unterstützer einer kriminellen Vereinigung“ verfolgt zu werden.

Morling: Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München, Ende Mai 2023 Hausdurchsuchungen wegen des Vorwurfs der „Kriminellen Vereinigung“ in der ganzen Bundesrepublik durchzuführen: hat das aus ihrer Sicht auch Auswirkungen auf eine Unterstützerszene, die vielleicht auch nur sympathisiert und die Umweltbewegung unterstützen will?

Conen: Ich weiß nicht, wie sehr sich diese Leute beeindrucken lassen. Aber es ist klar: Sie laufen für ihr Engagement, die „Letzte Generation“ zu unterstützen Gefahr, selber verfolgt zu werden. Das ist ja nicht ganz ohne: es ist ja nicht nur so, dass irgendein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird und man irgendwann einen Brief bekommen könnte und dazu Stellung nehmen kann und sich ggf. sogar vor Gericht dafür verantworten muss. Vielmehr ist es so, dass dieser § 129 StGB natürlich auch ermöglicht, das ganz große Instrumentarium der Strafprozessordnung zur Ausforschung auszupacken, das geht bis zum Großen Lauschangriff. In dem Moment, in dem ich ich mich in diesem Umfeld bewege muss ich damit rechnen, dass ich wie ein absoluter Extremist einfach auf allen Ebenen staatlich durchleuchtet werde. Das ist so.

Morling: Das heißt letztlich also, dass die Razzia und das Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen die „Letzte Generation“ wegen des Vorwurfs „kriminelle Vereinigung“ bedeuten könnte, dass man letztlich nur sicher ist, wenn man diese Organisation nicht mehr unterstützt? Mit diesem Münchner Ermittlungenverfahren könnte also der Kreis von Klimaaktivisten und Sympathisanten der „Letzten Generation“ absolut reduziert werden?

Conen: Ja sicherlich! In dem Moment, wo die „Letzte Generation“ tatsächlich eine kriminelle Vereinigung“ wäre, aber auch solange ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft, würde jemand, der sie unterstützt, vermeintlich billigend in Kauf nehmen, dass er eine kriminelle Vereinigung unterstützt. In dem Moment würde ich natürlich ein hohes persönliches Risiko eingehen. Das betrifft ja nun vor allem junge Menschen: In dem Moment, wo ich mich z.B. als Jurastudent, der vielleicht auch einmal in die Justiz will, da engagiere, kann ich mir das nicht mehr leisten wegen des persönlichen Risikos. Das ist ein Instrument zur gesellschaftlichen Isolierung einer Gruppe. Dieses Gesetz, § 129„Bildung krimineller Vereinigung“, ist natürlich nicht dafür gemacht, aber wenn es angewandt wird, hat es das zum Ergebnis und ich scheide aus dem Diskurs eigentlich aus.

Morling: Es werden inzwischen „Beschleunigte Verfahren“ von der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Klimaaktivisten beantragtund ab Juli 2023 häufiger durchgeführt . Was halten Sie davon?

Morling: Beschleunigte Verfahren sind m.E. „contra legem“

Conen: Meines Erachtens ist das klar contra legem. Das Kammergericht hat am 5. Mai 2023 eine Verurteilung aufgehoben, die allein auf dem Geständnis eines Angeklagten beruhte, weil zig Begleitumstände eigentlich noch aufgeklärt werden müssen. Und das nicht nur für die Frage der Strafbarkeit, die ja auch umstritten ist, sondern auch, wenn man es für strafbar hält, auch für die Frage des Strafmaßes. Und dafür ist das beschleunigte Verfahren gesetzlich eindeutig nicht gemacht und es entzieht dem Angeklagten den gesetzlichen Richter. Da begibt sich die Staatsanwaltschaft bzw. das Amtsgericht Tiergarten, wenn es diesen Weg wählt, auf eine rechtsstaatlich abschüssige Bahn. Das ist meines Erachtens deutlich rechtswidrig, das im beschleunigten Verfahren zu verhandeln. Es wird weder dem Recht noch der Sache auch nur ansatzweise gerecht.

Morling: Sie meinen alle Verfahren, wo Klimaaktivisten sich ankleben bzw. mindestens eine Straße blockieren?

Conen: Genau! Das beschleunigte Verfahren ist für eindeutige, einfach gelagerte Sachverhalte, Das kann man hier wirklich nicht sagen! Wenn man die Rechsprechung des Kammergerichts und auch des Landgerichts Berlin ernstnimmt, verbietet sich die Anwendung des beschleunigten Verfahrens als Verfahrensform. Nur, weil man etwas politisch will, sollten sich Gerichte dem auf keinen Fall beugen. Ich habe gehört, dass die Politik beschleunigte Verfahren favorisiert. Aber die Idee: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, das ist keine Parole, die im Rechtsstaat fruchten darf, wenn man rechtsstaatliche Verfahren betreiben will!

Morling: Herr Rechtsanwalt Conen, herzlichen Dank für das Gespräch!

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