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Ex-Chefermittler der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Clans und Rocker mahnt Änderungen an

Shownotes

Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra kam nur zufällig zur Justiz. 1954 in den Niederlanden geboren und im Alter von 5 Jahren als Ausländer nach Berlin gekommen, wollte er als junger Mann Medizin studieren. Als Migrant habe er keine Chance gehabt und habe deshalb Jura studiert, berichtet der Oberstaatsanwalt. Über 30 Jahre lang ermittelte er in Berlin vor allem gegen die Organisierte Kriminalität (OK), kurze Zeit war er auch Chef der Abteilung für Korruptionsbekämpfung. Im Interview zieht er das Resümee nach jahrzehntelanger Kenntnis der Entwicklung der OK bei Rockern, Clans, im Rauschgifthandel und der Zwangsprostitution. Zur Clankriminalität sagt Kamstra: "Wir sind nicht in der Lage, dieses Phänomen auszurotten. Wir könne als Staatsanwälte nur versuchen zu zeigen, dass der Staat keinesfalls wehrlos ist und dass man den Clanleuten mit dem Setzen von einigen Eckpunkten zumindest zeigen kann: "Irgendwann ist einmal Schluss! Wir können uns auch einmal wehren!"

Das Interview im Wortlaut:

Frage: Was veranlasst einen jungen Menschen, Staatsanwalt zu werden? Kamstra: Ursprünglich wollte ich Medizin studieren. Ich hatte keinen Studienplatz bekommen und perspektivisch keine Chance, jemals einen Platz zu bekommen, weil ich damals noch die niederländische Staatsbürgerschaft hatte. Deshalb bin ich in der Warteliste nicht aufgerückt. Weil ich aus dem Lernbetrieb nicht heraus wollte, habe ich quasi als „Parkstudium“ Jura angefangen. Ich habe einen ehemaligen Klassenkameraden wieder getroffen, wir haben zusammen studiert und irgendwann Examen gemacht. Nach dem ersten Examen war ich entschlossen, mir einen anderen Beruf zu suchen, obwohl ich eigentlich keinen Plan B hatte. Richtig Spaß an der Juristerei bekam ich mit Beginn des Referendariats. Da begannen wir endlich einmal, praktisch zu arbeiten.

Frage: Wo haben Sie gearbeitet? Was hat Ihnen besonders gelegen? Kamstra: Ich war im Amtsgericht Wedding mit Zivilsachen beschäftigt, dann bei der Staatsanwaltschaft in Moabit und bei einem Jugendrichter. Ich war ziemlich schnell festgelegt auf das Strafrecht, weil das mir am meisten Spaß machte. Ich würde diese Wahl jedes Mal wieder so treffen. Später dann hätte ich wählen können, ob ich Staatsanwalt oder Strafrichter werde. Ich bin bis heute der Meinung, dass der Staatsanwalt derjenige ist, der die Weichen eines Strafverfahrens stellt. Das klingt jetzt despektierlich und überheblich, aber ein Richter arbeitet die Arbeit eines Staatsanwalts ab – das kann kompliziert genug sein. Aber Ermittlungsstrategien, sich zu überlegen, wie komme ich hinter bestimmte Dinge, das machen sie als Staatsanwalt.

Frage: Wann sind Sie nach Moabit gekommen? Kamstra: Ich habe extra einmal nachgeschaut: Im Mai 1983 bin ich als Richter auf Probe hier eingestellt worden und sofort zur Staatsanwaltschaft gekommen, zu einer Abteilung, die sich damals mit Ausländerkriminalität befasst hat. Dann war ich etwas zwei Jahre Richter in verschiedenen Positionen. Als meine Lebenszeiternennung schließlich anstand, habe ich mich entschieden, zur Staatsanwaltschaft zurückzugehen. Ich bin relativ schnell in die Abteilung gekommen, die sich schon damals mit der Organisierten Kriminalität befasst hat. Da bin ich im Wesentlichen geblieben, bis auf wenige Unterbrechungen, u.a. in der Abteilung für Wirtschaftkriminalität und Leiter der Korruptionsabteilung. Aber Korruptionsstrafrecht ist im Grunde genommen auch nur eine Ausprägung der Organisierten Kriminalität. Danach war ich dann wieder bei meiner „Lieblingsbeschäftigung“ bis zu meinem letzten Arbeitstag als OK-Staatsanwalt.

Frage: Als ich erstmals Mitte der 80er Jahre als Journalist die Staatsanwaltschaft in Moabit kennenlernte, empfand ich sie sehr hierarchisch, ein rauer Umgangston herrschte. Was braucht man für Eigenschaften, um so weit zu kommen, wie Sie? Gleichzeitig aber dabei so einen positiven Ruf zu haben, wie Sie, sowohl bei Kollegen, Richtern und selbst Verteidigern? Kamstra: Vielen Dank für die Blumen, aber: ich kann Ihnen nicht sagen, was einen guten Staatsanwalt ausmacht. Man muss Strafverfolgungsinteresse haben, aber man muss kein Bluthund sein. Man muss eine Affinität dazu haben, dass die strafrechtliche Ordnung die Gesellschaft mit aufrecht erhält. Das klingt so abgehoben, aber das muss haben, so wie Spaß an Ermittlungsstrategien. Auf der anderen Seite muss man sich jederzeit vor Augen halten, dass man immer mit Menschen zu tun hat. Meiner Erfahrung nach ist das wichtigste Attribut: Verlässlichkeit; was man sagt, muss man auch einhalten, ob es schlechte oder gute Angebote sind.

Frage: Was hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert an der Härte der Strafverfolgung, an den Taten und Tätern? Kamstra: Die historische Situation hat sich verändert. Zu den Zeiten, als ich mit OK angefangen habe, hatten wir noch eine Mauer mitten durch Berlin und ein ziemlich übersichtliches Kriminalitätsbiotop. Mittlerweile sind wir eine internationale Stadt geworden, das merkt man der Kriminalität an, d.h. andere Protagonisten spielen eine Rolle. Die Kriminalität hat sich tatsächlich verändert, aber ich würde nicht sagen, zum Besseren oder Schlechteren, sie ist einfach anders geworden. Beispielsweise haben früher Zuhälter eher Thailänderinnen ausgebeutet, heute sind es mehr Osteuropäerinnen. So meine ich das. Wir haben eine Veränderung in der digitalen und technischen Welt. Das merkt man allenthalben. Das Tempo erhöht sich, wir sind als Ermittlungsgruppen gezwungen, uns viel schneller auf veränderte Umstände einzustellen. Das macht alles vielleicht etwas komplizierter, aber vielleicht sehe ich das auch nur aus der Warte eines über 60-jährigen, der nicht die Computertechnik mit der Muttermilch eingesogen hat. Das sehen andere vielleicht anders. Die Täter sind vielleicht wegen ihrer unterschiedlicher Ethnien unterschiedlich geworden. Aber es gibt für mich nicht den damals schlechteren oder heute besseren Kriminellen. Das würde ich so nicht sagen.

Frage: Nun werden heutzutage auch Ermittler bedroht. Das gab es früher wohl nicht in dieser Form, oder doch? Sind einige Kriminelle härter geworden? Kamstra: Über Bedrohungen zu meiner Person möchte ich nichts sagen. Über Bedrohungen im Allgemeinen, etwa, wenn man sich ansieht, was gerade in Stuttgart passiert ist, da würde ich schon sagen, das ist irgendwo auch das Ergebnis eines gesellschaftlichen Wandels. Das sage ich allerdings mehr als Staatsbürger, denn als Staatsanwalt. Man muss der Polizei auch vertrauen können. Aber wenn ich unentwegt verbreite, dass unsere Polizei nicht vertrauenswürdig ist, noch dazu in Berlin die Polizei am schlechtesten bezahle von allen Bundesländern. Ich muss mich nicht wundern, dass dann bestimmte Dinge erodieren und Leute auf der Gegenseite stehen und sagen: „Wir treten auf die Deppen der Nation ein“. Das finde ich nicht gut!

Frage: Könnte man sagen, dass beispielsweise bei der Clankriminalität der Staat zu lange weggesehen hat? Kann man die Entwicklung noch zurückdrehen, die Familien bzw. zumindest deren Kinder noch in die Gesellschaft integrieren? Kamstra: Da könnte man jetzt mindestens zwei Stunden darüber reden. Nur soviel: Ja, man hat zu lange weggesehen. Eine ganze Zeitlang war die politische Kultur so, dass Clankriminaliät Ausländerkriminalität war, weil die meisten Clankriminellen sind Ausländer. Das hat man weggeredet, weil es politisch nicht gewünscht war, es so zu bezeichnen. Das hat dazu geführt, dass man vielleicht die Stellschrauben nicht verändert hat, die die Clankriminalität verändert hätten. Ich will es mal so sagen: als Strafverfolger sitze ich am Ende der „Nahrungskette“, also sind die Fehler zuvor passiert. Das meine ich nicht unbedingt politisch, sondern: in den Familie und/oder in der Schule ist etwas falsch gelaufen. Das setzt sich fort und irgendwann werden die Leute kriminell. Dann sind wir Staatsanwälte und Strafrichter dran. Auch wenn ich mich sehr lange damit gefasst habe, sage ich ganz deutlich: Wir sind nicht in der Lage, dieses Phänomen auszurotten. Wir können als Staatsanwälte nur versuchen zu zeigen, dass der Staat keinesfalls wehrlos ist und dass man den Clanleuten mit dem Setzen von einigen Eckpunkten zumindest zeigen kann: „Irgendwann ist mal Schluss! Wir können uns auch wehren!“ Wir müssten aber viel früher ansetzen, damit der Staat sich Respekt verschafft, auch bei kulturell anders gepolten Leuten, denen vielleicht die Familie oder auch noch ihr Glaube über alles andere geht, die vor der Staatsmacht, jetzt meine ich es einmal im guten Sinne, Null Respekt haben. So treten sie dann auch auf… Wenn Sie fragen, was hat sich verändert: bei den Clankriminellen gibt es im Vergleich zu anderen organisiert kriminellen Gruppen definitiv eine Veränderung: OK ist eingetlich nichts, was die Öffentlichkeit sucht. Die arbeiten im Versteckten, im Geheimen, im Dunkeln, Clankriminelle nicht: die protzen mit ihrer Kriminalität, deren Straftaten finden in aller Öffentlichkeit statt. Die überfallen am hellichten Tag das KaDeWe, die erschießen am hellichten Tag vor eisschleckenden Kindern einen missliebigen clanaffinen Mann, die dringen enefalls am hellichten Tag ins Hyatt-Hotel ein und rauben die Einnahmen aus dem Pokerturnier. Das ist eigentlich nicht typisch für OK, aber typisch für Clankriminalität. Das gehört für sie so ein bisschen dazu wie die brilliantenbesetzte goldene Rolex oder der AMG Mercedes, als eine Art Statusaussage. Das hat sich definitiv verändert. Da sind wir Strafjuristen mit in der Verantwortung zu zeigen, dass dem Staat ein gewisser Respekt gezollt werden muss und man eben nicht machen kann, was man will. Aber wir brauchen auch die gesellschaftliche und politische Unterstützung.

Frage: Gibt es diese politische und gesellschaftliche Unterstützung ausreichend? Kamstra: Ich würde nicht sagen: Es gibt sie nicht. Ich bin im Moment allerdings etwas umtriebig geworden, denn ich glaube nicht, dass es hilfreich ist, wenn man das Vetrauen in die Staatsmacht von politischer Seite aus unterminiert. Ich sage jetzt – ausdrücklich als Staatsbürger und nicht als Mitarbeiter dieser Behörde: Ich finde es nicht gut finde, mit einem Antidiskriminierungsgesetz die Polizei unter Generalverdacht zu stellen. Auch wenn das von politischer Seite in Berlin anders erklärt wird, halte ich es mehr mit den Kritikern, die meines Wissens bundesweit in der Mehrheit zeigt, dass man die Polizei demontiert, wenn man ihr von vornherein die Gesetzestreue abspricht. Wenn ich also unterstelle, dass die Polizei in Berlin latent rassistisch ist oder ein rassistisches Problem hat, dann hilft das dem Status der Polizei nicht. Wir müssen ausschließen, dass die Polizei nicht mehr in der Lage ist, mit einem einfachen Streifenwagen durch Neukölln Süd zu fahren, um dort beispielsweise ein Auto zu kontrollieren, ohne Gefahr zu laufen, sofort von einem Rudel wenig polizeifreundlicher Freunde der AMG-Besitzer um sich zu haben. Auch das hat mit Strafverfolgung zu tun, dass die Bevölkerung, auch die kriminell affine Bevölkerung, ein bisschen Respekt vor der Staatsmacht hat. Deshalb muss ich dann nicht Teile der Staatsmacht politisch demontieren.

Frage: Seit einiger Zeit wird versucht, u.a. die „Politik der Nadelstiche“ gegenüber kriminellen Mitgliedern von Clans durchzusetzen. Zeigt das Erfolge aus ihrer Sicht, sowohl in der Bevölkerung, als auch bei den „kriminalitätsaffinen“ Menschen? Kamstra: Sowohl als auch. Was die Bevölkerung angeht: der Bürger nimmt wahr, dass der Clanfürst seinen AMG-Mercedes vor der Polizeiwache direkt im Halteverbot parkt und ihm nichts passiert. Irgendwann muss einmal klar werden, dass der das, wie jeder andere Bürger, auch nicht darf. Insofern ist das kleiner Nadelstich durchaus geeignet, und so bekomme ich es auch zurückgekoppelt, dass der Bürger sagt: Oh, die tun doch was! Diesem Allmachtsgehabe der kriminellen Strukturen wird etwas entgegengesetzt. Was die ermittlungsstrategischen Erfolge angeht, ist das der Anfang. Auch die Clankriminellen werden zunehmend kapieren: zuviel Öffentlichkeit und zuviel Unruhe stören das kriminelle Geschäft… Das ist der erste Schritt, mit dem wir aber nichts gegen die Clankriminalität tun. Ich habe das schon hundertfach gesagt: Das A und O der Bekämpfung der Clankriminalität ist es, dass wir denen das kriminelle Vermögen wegnehmen müssen.

Frage: Und wie sieht es damit aus? Kamstra: Da machen wir Fortschritte, aber wir sind immer noch weit von dem entfernt, was ich mir vorstellen würde. Wir machen Fortschritte durch dieses neue Vermögensabschöpfungsgesetz. Das hat Jahre gedauert, bis wir es hatten. Es erleichtert uns die Sicherstellung kriminell inkriminierten Vermögens, ganz erheblich. Aber, das sage ich ganz deutlich: es ist noch keine Beweislastumkehr! Wenn man denkt, man könne jetzt schnell agieren, dann irrt man sich auch. Wenn man sich die Beschlagnahme von 77 Immobilien, die Ausfluss dieses Gesetzes ist, einmal ansieht, dann weiß ich als Insider: bevor wir das gemacht haben, haben wir jahrelang puzzleartig ermitteln müssen: wem gehört welches Grundstück? Also: bevor wir „zugeschlagen“ haben, ist jahrelang ermittelt worden. Es ist also nicht so, dass uns dieses Gesetz in die Lage versetzt, sehr schnell zu agieren. Aber es hilft ungeheuer! Mein Credo bleibt: wir brauchen die Beweislastumkehr! Ich will nicht etwa davon weg, dem Täter seine Schuld nachzuweisen. Das werden wir haarklein machen müssen. Er muss sich nicht entlasten. Aber wenn wir nachweisen, dass er eine Straftat begangen hat und rechtskräftig verurteilt ist, verstehe ich, dass wir ihm nicht den Nachweise auferlegen können: ist die Rolex an seinem Handgelenk legal erworben oder stammt sie auch aus kriminellem Tun? Ich weiß, dass das mit unserem Verfassungsgericht schwierig ist, aber die Frage der Vermögenseinziehung ist weniger die Frage von Strafe und Schuld sondern die des zivilrechtlichen Ausgleichs. Deswegen verstehe ich nicht, warum das nicht auch in Deutschland möglich sein sollte.

Frage: Warum ist das aus ihrer Sicht so wichtig? Kamstra: Da spielen verschiedene Umstände eine Rolle: wenn ich mir so angucke, dass ein Clankrimineller ein paar Schließfächer einer Bank sprengt und sechs bis sieben Mio. erbeutet. Er wurde verurteilt zu fünf oder sechs Jahren. Das Vermögen war komplett weg, das können die gut. Da haben wir noch erheblichen Nachholbedarf, wie wir das Verbringen der Tatbeute ins Ausland verhindern können. Die Tatbeute jedenfalls ist weg und ein solcher Straftäter sitzt bei uns üblicherweise zwei Drittel der Strafe ab. Ich weiß nicht: wenn ich sechs Millionen in trockenen Tüchern hätte, on ich nicht vier Jahre Knast in Deutschland hinnehmen würde.

Frage: Von der Clankriminalität zu einem großen Erfolg der Berliner Staatsanwaltschaft, an dem Sie mit beteiligt waren: 8x Lebenslang für Mitglieder der Hells Angels im letzten Jahr. Die Staatsanwaltschaft beantragte diese Strafe und das Gericht entschied genau so. Bei solchen Verfahren, die eine Unmenge Geld kosten und man Politik und Öffentlichkeit erklären muss, warum die Aufklärung dieses Mordes, der einer Hinrichtung glich in dem Reinickendorfer Wettbüro im Januar 2014, so wichtig ist: Wie haben Sie es geschafft, dass bis zum Schluss durchziehen zu dürfen als Staatsanwaltschaft? Kamstra: Ja, am Ende ist das ein spektakuläres Verfahren gewesen. Aber ich will zwei Dinge klarstellen: Sie haben vorhin das Thema Hierarchie und Staatsanwaltschaft schon einmal angesprochen. Wir haben einen Fall, unterliegen dem Legalitätsprinzip und versuchen, ihn aufzuklären. Dann sage ich mal so arrogant, wenn wir mittendrin sind fragen wir niemand mehr, ob wir dürfen. Das machen wir dann einfach. Meiner rückblickenden Erfahrung nach gab es in den letzten 30 Jahren oder mehr niemals eine Anweisung, die Finger von bestimmten Fällen zu lassen. Wenn sich ein Verfahren entwickelt und die Ermittlungen sehr aufwändig werden und die Gerichtskosten sehr hoch, dann ist das eben so. Wir Staatsanwälte fragen nicht danach, ob wir so einen Prozess finanzieren können. Man könnte allerdings überlegen, ob man sehr lange Hauptverhandlungen durch Gesetze verkürzen könnte, zum Beispiel durch Änderungen im Beweisantragsrecht. Denn das meiste Geld hat der Prozess gekostet und nicht die Ermittlungen. Auf der anderen Seite wäre ich immer wieder bei einem solchen Prozess dabei, denn wir sind auch dafür da zu zeigen, dass jede kriminelle Gruppierung angreifbar ist, auch die, die den Habitus haben, ihnen könne nichts passieren, Und dazu gehörten jedenfalls in dieser Stadt die Rocker. Auch die haben ein gehöriges Gefährdungspotential und ein Potential, Angst zu verbreiten auch in der Bevölkerung. Ich muss garricht wissen, ob der wirklich gefährlich ist, aber wenn ich weiß, der, der mir ins Haus geschickt wird, gehört zu den Hells Angels, dann zucke ich schon zurück und sage: nur noch vorsichtig sein. Die haben den Nimbus der Unantastbarkeit, die Gruppe die wir zur Anklage und Verurteilung gekriegt haben, erst recht. Sie haben ähnlich wie Clankriminelle die Stadt als ihre Stadt bezeichnet. Da rechtfertigt so ein immenser Aufwand schon einmal das Ergebnis, dass man sagt: wir schaffen es, nicht nur den kleinen Prospect von der Straße zu kriegen, sondern tatsächlich auch einmal so eine ganze Gruppenstruktur zur Verurteilung zu bringen. Auch wenn ich den Begriff nicht so gern gebrauche, würde ich sagen: das hat eine gewisse abschreckende Wirkung in der Szene…

Frage: Müsste sich in Sachen Zeugenschutz und für die Kronzeugen, die auspacken wollen, mehr tun, damit die festgefügten Strukturen der OK besser aufgeweicht werden könnten? Kamstra: Ob sich mehr tun sollte, kann ich nicht sagen. Aber ich bin ein starker Befürworter der Kronzeugenregelung, die wir ja gesetzlich festgelegt haben als Teil einer Ermittlungsmethode gegen Organisierte Kriminalität. Keonzeugen sind heikle Beweismittel. Der Kronzeuge bei den Hells Angels, der gegen seine Brüder auspackt und weiss, dass er mit seinem Leben spielt, erwartet von uns, wenn er spurt, dass er am Ende die gesetzlichen Vorteile der Kronzeugenregelung mitnehmen kann. Darüber entscheidet das Gericht, aber wir können ihm schon sagen: wenn du kooperierst, dann werden wir uns dafür einsetzen. Das tun wir u.U. auch. Wir wissen aber auch, dass ein Kronzeuge immer Gefahr läuft zu sagen, je mehr ich den Ermittlungsbehörden erzähle, desto mehr springt für mich dabei heraus. Deshalb werden wir die Angaben von Kronzeugen immer besonders kritisch prüfen müssen. Auch im Hells-Angels Prozess haben wir die Angaben des Kronangeklagten sehr kritisch geprüft, zum ganz großen Teil waren seine Aussagen belegbar und richtig. Der BGH urteilte, dass man allein auf die Angaben eines Kronzeugen stützen dürfen. Aber wenn sich seine Angaben verifizieren lassen, ist er ein wertvolles Beweismittel.

Frage: Aus Sicht ihrer langjährigen Erfahrung: was würde Strafverfahren noch effektiver machen? Welche Mittel müssten Sta und Polizei noch an die Hand gegeben werden? Kamstra: Wie kann ich OK und Clankriminalität besser verfolgen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Videovernehmung wäre für mich das erste. Da kann man nicht nur hören, was ein Zeuge sagt, man kann es auch sehen, wie er es sagt, ob jemand schwitzt, die Augen verdreht etc. Das hat den Vorteil dass sie Menschen, die unter dem Eindruck einer Straftat stehen, insbesondere die Opfer von Clankriminalität, dass sie in der Ambulanz im Krankenhaus sitzen, Adrenalin bis unter das Schädeldach haben, dann erzählen. In der Clankriminalität beobachten wir häufig, dass 2-3 Stunden später die Aussagefreudigkeit erheblich abnimmt. Das hat damit zu tun, dass andere Mechanismen jetzt eingreifen. Die sogenannte Paralleljustiz fängt an. Es wird gesagt: Ja, das könnte für dich Nachteile haben, wenn du weiter aussagst, andererseits Vorteile, wenn du schweigst, man beginnt ihn zu beeinflussen. Dann hätten sie eine authentische Vernehmung und könnten bewerten, wie das Revidieren einer Aussage sich verträgt mit einer sehr authentischen Aussage, die sie nicht nur aufgeschrieben lesen, sondern erleben können. Ich halte das für erheblich bedeutungsvoll, auch vor dem Hintergrund, da es bestimmte Verteidigungsstrategien gibt, wie: das hat er so nicht gesagt, oder: das hat er so genau nicht gesagt, oder: ihm ist vorher etwas angeboten worden, wenn er es so sagt. Das wäre mit dem Video erledigt. Das zweite, was ich gern verstärkt haben würde, ist der „Große Lauschangriff“, als die akustische Wohnraumüberwachung. Wir haben sie im gesetz, allerdings mit Hürden, die dazu führen, dass ich in meiner ganzen Karriere nur ein einziges Mal nur eine akustische Wohnraumüberwachung beantragt und richterlich angeordnet bekommen habe. Das ist also extrem schwierig. Nur: die Schwachstellen fast jeder kriminellen Organisation sind ihre Kommunikationswege. Wir müssen also versuchen da reinzukommen und mitzuhören, was die miteinander reden. Die reden selten zu Hause am Festnetztelefon. Die reden in der Shisha-Bar, auf der Wiese und in der Garage. Dann sollte es doch möglich sein, in diese Kommunikationswege hineinzukommen und mitzuhören. Das dritte hatte ich schon gesagt: die Beweislastumkehr bei der Vermögenseinziehung. Das ist für mich die Kardinalforderung schlechthin. Aber warum kriegen wir das nicht? Wir Staatsanwälte arbeiten mit dem, was uns das Gesetz an Maßnahmen in die Hand gibt. Und diese Maßnahmen beschließt der Gesetzgeber, der sich manchmal schwertut. Wenn ich sage, ich bin darüber verwundert, drücke ich das sehr defensiv aus: wie lange manche politische Entscheidungen dauern, wie lange warten wir schon auf die Entscheidung, on die Polizei den Taser einsetzen darf , wie lange hat es gedauert, bis wir das neue Vermögensabschöpfungsrecht bekommen haben? Und die Videoüberwachung: wie lange wird da schon vorwärts uns rückwärts debattiert, bis einmal irgendjemand eine Entscheidung trifft? Ich habe als Staatsanwalt garnichts dagegen, wenn die Politik sagt: bestimmte Maßnahmen wollen wir euch nicht geben, weil, und das weiß ich auch, weil prozessuale Maßnahmen immer mit der Einschränkung von Persönlichkeitsrechten anderer verbunden sind. Und es ist Sache der Politik zu sagen: das wollen wir den Betroffenen nicht zumuten. Nur ich finde es nicht so schön, wenn die Politik das tut und dabei Etikette verteilt. Z.B. beim Thema „Wohnraumüberwachung“ fingen die Gegner damit an, diese Ermittlungsmaßnahme in „Großer Lauschangriff“ umzubenennen. Das bekommt sofort einen negativen Touch und auf dieser Ebene wurde weiterdiskutiert. Ich denke, der Gesetzgeber muss dem Bürger auch erklären, warum er bestimmte Maßnahmen nicht anordnet. Es ist z.B. nie diskutiert worden, dass der „große Lauschangriff“ auch eine erhebliche Zeugenschutzmaßnahme ist. Eine in die Enge getrieben kriminelle Gruppierung wird definitiv versuchen, Beweismittel zu manipulieren. Und einen Zeugen kann man Drohen, ihn bezahlen. Wenn ich eine akustische Aufnahme habe von dem Gespräch, dann brauche ich den Zeugen nicht. Dann macht es auch keinen Sinn für die Gruppierung, sich an dem Zeugen zu vergreifen, schon weil die nicht neue Schlachtfelder aufmachen wollen. Ein objektives Beweismittel zu manipulieren ist viel schwieriger.

Frage: Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Ländern rund um Deutschland und Europol aus bei der Bekämpfung der OK? Sind wir auf einem guten Weg? Kamstra: Wir sind auf dem Weg. Auf gutem Weg würde ich erst sagen, wenn absehbar deutliche Verschnellerungen zu erwarten wären. Das ist nicht der Fall. Die internationale Zusammenarbeit könnte deutlich besser werden. Wir haben allerdings in den letzten Jahren Instrumentarien gefunden, die tatsächlich in den einzelnen Kriminalitätsbiotopen eine bessere Zusammenarbeit ermöglichen: Joint Investigation Teams, z.B. zwischen polnischen und deutschen Staatanwälten bei Autoverschiebungsdelikten und Enkeltrick-Fällen. Das wurd zunehmend mehr, aber aus meiner Sicht könnte es schneller gehen. Ein Hemmschuh für eine effektive internationale Kriminalitätsverfolgung ist m.E. immer noch die internationale Rechtshilfe, die vielleicht doch noch ein bisschen mit der Postkutsche fährt.

Frage: Was würden Sie ihren jungen Kollegen, die schon hier sind oder noch kommen werden, wie sie besonders gut hier im Haus klarkommen und ihrem Beruf erfüllen können? Kamstra:Das muss jeder individuell für sich entscheiden. Wenn man die juristisch feinsinnige Auseinandersetzung sucht, gehe ich vielleicht eher in die Abteilung für Wirtschaftskriminalität. Wenn sie eher so mitten im Leben stehen, gehen sie lieber vielleicht in die OK. Man muss einfach Spaß an dem Beruf finden, man muss eine Haltung dazu haben, dass man sagt: Strafrecht ist wichtig. Man muss nicht die Haltung haben, je mehr Freiheitsstrafen ich raushole, umso ein besserere Staatsanwalt bin ich. Man muss wissen, dass man als Staatsanwalt mit beteiligt sein kann, bestimmte Missstände mindestens einzugrenzen. Irgendwelche Sümpfe trockenzulegen, diesen Anspruch sollten sie als Staatsanwalt nicht haben und es wird ihnen nicht gelingen.

Frage: Hätten Sie gern noch länger als Staatsanwalt hier gearbeitet? Ich bin schon ein ein halbes Jahr über den Zenit und hatte noch verlängert. Ich habe aber keine Bange darum, dass hier Lücken gerissen werden, die andere nicht ausfüllen können. Es gibt genug gute Staatsanwälte, die nachfolgen können. Und wenn ich sage, mir reichts, dann nicht, weil der Beruf mir keinen Spaß macht, sondern weil ich sage: Es gibt noch ein Leben nach dem Beruf und neben dem Beruf.

Transkript anzeigen

00:00:00: Musik.

00:00:11: Kriminalgericht Moabit: Der Podcast

00:00:14: Gerichtsreporter Ulf Morling berichtet über echte Prozesse mit echten Menschen. Von ihm erlebt. Der Chef der Abteilung für Organisierte Kriminalität, Oberstaatsanwalt Kamstra, geht in Pension.

00:00:28: Hier ein ausführliches Interview mit ihm. MORLING: Was bringt einen jungen Menschen dazu, Jura zu studieren und Staatsanwalt zu werden?

00:00:37: SJORS KAMSTRA: Mein ursprüngliches Ziel war es, Medizin zu studieren.

00:00:40: Und dann habe ich keinen Studienplatz bekommen und hatte auch perspektivisch überhaupt keine Chance, jemals einen zu kriegen, weil ich damals die niederländische Staatsbürgerschaft hatte.

00:00:49: Deshalb bin ich in der Warteliste nicht aufgerückt. Weil ich aus

00:00:52: dem Lernbetrieb nicht raus wollte, habe ich quasi als "Parkstudium" Jura angefangen. Dann habe ich einen ehemaligen Klassenkameraden wiedergetroffen. Wir haben zusammen studiert und dann irgendwann auch Examen gemacht.

00:01:05: Nach dem ersten Examen war ich eigentlich entschlossen, mir einen anderen Beruf zu suchen, ohne dass ich den richtigen Plan B hatte. Richtig Spaß an der Juristerei habe ich bekommen, als das Referendariat anfing und wir endlich einmal anfangen konnten, praktisch zu arbeiten.

00:01:19: MORLING: Wo haben Sie gearbeitet und was hat Ihnen da Spaß gemacht? KAMSTRA: Als Referendar war ich am Amtsgericht Wedding in Zivilsachen und dann bei der Staatsanwaltschaft hier in Moabit und bei einem Jugendrichter.

00:01:29: Ich war ziemlich schnell festgelegt auf Strafrecht, weil mir dieses Rechtsgebiet am meisten Spaß gemacht hat. Ich würde die Wahl jedes Mal wieder so treffen.

00:01:37: Und: Staatsanwalt deshalb, also ich hätte wählen können, denke ich,

00:01:43: ob ich Strafrichter werden möchte oder Staatsanwalt, aber ich bin bis heute der Meinung, dass der Staatsanwalt derjenige ist, der die Weichen eines Strafverfahrens stellt. Also das klingt jetzt despektierlich und überheblich, aber ein Richter arbeitet die Arbeit eines Staatsanwalts ab.

00:01:57: Das kann kompliziert genug sein, aber Ermittlungsstrategien sich zu überlegen, wie komme ich hinter bestimmte Dinge, das machen sie als Staatsanwalt.

00:02:07: MORLING: Wann sind Sie nach Moabit gekommen und was haben Sie hier im Einzelnen gemacht?           KAMSTRA: Ich habe extra mal nachgeguckt. Ich bin im Mai 1983 als Richter auf Probe eingestellt worden und sofort zur Staatsanwaltschaft gekommen in eine Abteilung,  die sich mit

00:02:22: Ausländerkriminalität befasst hat. Danach war ich etwa 2 Jahre Richter in verschiedenen Positionen und dann stand meine Ernennung auf Lebenszeit an.

00:02:31: Ich habe mich entschieden, zur Staatsanwaltschaft zurückzugehen und bin relativ schnell in die Abteilung gekommen, die sich schon damals mit "Organisierter Kriminalität" (OK) befasst hat.

00:02:42: Dort bin ich, mit ein paar Unterbrechungen, geblieben. Bevor ich Oberstaatsanwalt wurde, war ich noch in einer Buchstabenabteilung und war dann in der Wirtschaftskriminalität tätig als Leiter der Antikorruptionsabteilung. Aber im Grunde genommen ist Korruptionsstrafrecht

00:02:57: auch nur eine Ausprägung der Organisierten Kriminalität und seitdem

00:03:01: bin ich wieder bei meiner Lieblingsbeschäftigung angekommen. Von da an bis zum letzten Tag bin ich OK-Staatsanwalt gewesen.

00:03:10: MORLING: Was mir aufgefallen ist: als ich Mitte der 80er Jahre das erste Mal hier war, ist

00:03:14: dass mir die Staatsanwaltschaft als Außenstehender sehr hierarchisch vorkam mit rauem Umgangston und so weiter. Was braucht man für Eigenschaften,

00:03:24: um hier soweit zu kommen wie Sie?

00:03:28: Und: Was muss man tun, um so einen guten Ruf zu haben? Ich habe viele Menschen gefragt (Verteidger, Richter,

00:03:36: andere Staatsanwälte) und ich habe keinen erlebt, der Sie nicht wirklich schätzt. Wie erreicht man? Wie kommt dahin? KAMSTRA: Vielen Dank für die Blumen, aber

00:03:46: das kann ich so nicht sagen: Was macht einen guten Staatsanwalt aus?  Man muss Strafverfolgungsinteresse haben. Damit meine ich nicht, dass man ein Bluthund sein muss, sondern dass man einfach eine Affinität dazu haben muss zu sagen:  dass dieses Strafrecht die gesellschaftliche Ordnung

00:04:00: mit aufrecht erhält. Das klingt so abgehoben, aber ich glaube das muss man haben! Man muss Spaß an Ermittlungstrategien haben und auf der anderen Seite

00:04:10: sich vor Augen halten, dass man jederzeit mit Menschen auf der anderen Seite zu tun hat. Meine Erfahrung ist,

00:04:17: dass das wichtigste Attribut Verlässlichkeit ist: das, was man sagt, muss man einhalten ob das schlechte oder gute Angebote sind.

00:04:25: MORLING: Was hat sich in den letzten Jahrzehnten an der Strafverfolgung geändert?

00:04:32: Zum Besseren oder zum Schlechteren?

00:04:42: KAMSTRA: Es hat sich einiges verändert! Als ich mit OK angefangen habe, hatten wir noch eine Mauer durch Berlin und ein ziemlich übersichtliches Kriminalitätsbiotop. Mittlerweile sind wir aber eine internationale Stadt geworden, das merkt man auch der Kriminalität an, das heißt:

00:04:57: Andere Protagonisten spielen jetzt eine Rolle mit in Berlin. Die Kriminalität hat sich tatsächlich verändert, wobei ich nicht sagen würde,

00:05:05: besser oder schlechter. Sie einfach anders geworden: Früher hatten wir mit Zuhältern zu tun, die haben Thailänderinnen ausgebeutet, heute sind es oft Osteuropäerinnen. So meine ich das.

00:05:14: Wir haben Veränderungen in der digitalen und der technischen Welt, das merkt man allenthalben. Das Tempo erhöht sich.

00:05:22: Auch als Ermittlungstruppen sind wir gezwungen, uns viel schneller auf veränderte Umstände einzustellen. Das macht es  vielleicht ein bisschen komplizierter, aber das sehe ich vielleicht auch aus der Warte eines über 60 Jährigen,

00:05:34: der nicht die Computertechnik mit der Muttermilch eingesogen hat. Das sehen andere vielleicht anders. Die Täter

00:05:40: sind heute vielleicht von unterschiedlicher Ethnie als früher, aber es gibt jetzt für mich nicht den damals besseren oder heute schlechteren Kriminellen.

00:05:53: MORLING: Nun gibt es ja inzwischen auch Bedrohungen.

00:05:56: Das gab es früher so nicht.  Ist da etwas härter geworden, dass man auch Gesetzesvertreter anggreift?

00:06:04: Ist es gleich geblieben? KAMSTRA:  Meine Sie Bedrohungen, was meine Person angeht oder meinen Sie Bedrohungen an sich? Zu Bedrohungen meiner Person möchte ich nicht viel sagen! Zu allgemeinen Bedrohungen von Staatsvertretern, wenn man sich

00:06:16: die aktuelle Situation in Stuttgart ansieht: Da würde ich schon mehr als Staatsbürger, als als Staatsanwalt, sagen: Das ist auch irgendwo auch das Ergebnis

00:06:26: eines gesellschaftlichen Wandels. Man muss der Polizei auch vertrauen können! Und wenn ich unentwegt verbreite, dass diese Polizei, die wir haben, nicht vertrauenswürdig ist - und sie noch dazu,

00:06:35: jedenfalls die Berliner Polizei- am schlechtesten bezahle im ganzen Bundesgebiet, dann muss ich mich ehrlich gesagt nicht wundern, dass bestimmte Dinge erodieren, weil auf der Gegenseite Leute stehen und sagen:

00:06:46: "Wir treten auf die Deppen der Nation ein!" Das finde ich nicht gut!

00:06:49: MORLING: Kann man sagen, dass beispielsweise bei der Clankriminalität der Staat zu lange weggesehen hat? Kann man die Entwicklungen noch zurückdrehen  und die Familien, bzw. zumindest deren Kinder, noch in die Gesellschaft eventuell integrieren?

00:07:03: KAMSTRA: Das ist ein Thema, über das man allein 2 Stunden reden könnte... Ich würde sagen: Ja, man hat zu lange weggesehen! Es war meines Erachtens die politische Kultur eine ganze Zeit lang so,

00:07:14: dass "Clankriminalität"

00:07:16: Ausländerkriminalität ist, weil die meisten Clankriminellen sind Ausländer.  Das hat man weggeredet, weil es politisch nicht gewünscht war, das so zu bezeichnen.

00:07:26: Und das hat dazu geführt, dass man vielleicht die Stellschrauben nicht verändert hat, die

00:07:33: die Clankriminalität verändert hätten. Ich will das mal so sagen: als Strafverfolger bin ich sozusagen am Ende der Nahrungskette. Die Fehler sind vorher gelaufen. Ich meine das jetzt gar nicht unbedingt politisch,  sondern:

00:07:45: Da läuft in den Familien etwas falsch, da läuft in der Schule etwas falsch und das setzt sich fort und irgendwann werden die Leute einmal kriminell und dann sind wir Staatsanwälte und Strafrichter dran. Ich sage ganz deutlich: auch wenn ich mich lange damit befasst habe:

00:07:57: Wir sind nicht in der Lage, dieses Phänomen auszurotten! Wir können als Staatsanwälte eigentlich nur dafür sorgen zu zeigen, dass der Staat keinesfalls wehrlos ist!

00:08:07: Und dass man zumindest mal so ein paar Eckpunkte setzen kann und den kleinen Leuten zeigen kann: Also, irgendwann ist Schluss und wir können uns auch wehren!

00:08:15: Ich bin schon der Meinung, dass wir viel früher ansetzen müssen. Wir müssen zusehen dass der Staat Respekt verschafft - auch bei kulturell anders gepolten Leuten!

00:08:25: Denen also, denen die Familie über alles geht und denen vielleicht sogar

00:08:28: dann auch noch ihr Glaube über alles geht, die jedenfalls vor der Staatsmacht Null Respekt haben. So treten sie auch auf... Und wenn Sie fragen, was sich verändert hat bei den Clankriminellen gibt's definitiv eine Veränderung im Vergleich zu

00:08:42: anderen organisierten kriminellen Gruppen:

00:08:45: Organisierte Kriminalität ist eigentlich nichts, was die Öffentlichkeit sucht. Die arbeiten im Geheimen und im Dunkeln. Aber die Clankriminalität nicht,

00:08:53: die protzen mit ihrer Kriminalität, deren Straftaten finden in aller Öffentlichkeit statt, die überfallen am hellichten Tag das KaDeWe, die erschießen am hellichten Tag

00:09:03: vor eisschleckenden Kindern einen missliebigen, clanaffinen Mann,

00:09:07: die dringen in ein Hotel ein, auch am helllichten Tage, und rauben die Einnahmen aus dem Pokerturnier. Das ist eigentlich nicht typisch für OK, das ist aber typisch für Clankriminalität.

00:09:17: Das gehört für die so ein bisschen dazu, glaube ich, wie die goldene, mit Brillianten besetzte Rolex, wie der AMG-Mercedes. Also eine Art Statusaussage. Und das hat sich

00:09:26: definitiv verändert und da sage ich schon:  da sind wir Strafjuristen mit dafür in der Verantwortung zu zeigen, dass dem Staat gegenüber ein gewisser Respekt gezollt werden muss und man eben nicht machen kann, was man will! Aber wir brauchen auch

00:09:40: diese politische und gesellschaftliche Unterstützung. MORLING: Gibt es diese Unterstützung ausreichend?

00:09:48: KAMSTRA: Also ich würde nicht sagen, es gibt sie nicht. Ich bin im Moment ein bisschen umtriebig geworden, also ich glaube, dass ist nicht hilfreich ist,

00:09:57: wenn man das Vertrauen in die Staatsmacht von politischer Seite

00:10:01: unterminiert und ich sag das jetzt einmal ausdrücklich nicht als Angehöriger dieser Behörde, sondern als Staatsbürger: Ich finde es nicht gut, mit einem Antidiskriminierungsgesetz die Berliner Polizei unter Generalverdacht zu stellen, auch wenn das von politischer Seite in Berlin anders erklärt wird.

00:10:15: Ehrlich gesagt halte ich es mir mit den Kritikern. Die sind meines Wissens bundesweit

00:10:19: in der Mehrzahl. Sie sagen, dass man dadurch eine Polizei demontiert, wenn man ihr von vornherein die Gesetzestreue abspricht, also wenn ich unterstelle, dass die Polizei in Berlin latent rassistisch ist oder ein rassistisches Problem hat!

00:10:32: Dann hilft das dem Status in der Polizei nicht.

00:10:35: Das eine bedingt das andere nicht, aber wir müssen ausschalten, dass die Polizei nicht mehr mit einem einfachen Streifenwagen durch Neukölln-Süd fahren zu können, um da ein Auto zu kontrollieren, ohne Gefahr laufen zu müssen, sofort von einem Rudel

00:10:49: sagen wir "wenig polizeifreundlicher Freunde der AMG-Besitzer" um sich herum zu haben...

00:10:54: Auch das hat mit Strafverfolgung zu tun: das ich sicherstellen muss, dass auch der kriminell affine Teil der Bevölkerung einen gewissen Respekt vor der Staatsmacht hat.

00:11:05: Und da muss ich nicht Teile der Staatsmacht politisch demontieren...

00:11:09: MORLING: Seit einiger Zeit wird versucht, die "Politik der kleinen Nadelstiche" bei der Bekämpfung der Clankriminalität durchzusetzen. Zeigt das Erfolg aus ihrer Sicht, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den "kriminalitätsaffinen Menschen"?

00:11:23: KAMSTRA: Sowohl als auch! Was die Bevölkerung angeht, um damit mal anzufangen:

00:11:28: Der Bürger nimmt wahr, dass ein Clanfürst seinen AMG-Mercedes im Halteverbot direkt vor der Polizeiwache parkt und ihm nichts passiert.

00:11:36: Irgendwann muss mal klar werden, dass der das auch nicht darf - so wie ich es als Normalbürger auch nicht darf. Das ist als kleiner Nadelstich anzusehen, aber es ist durchaus geeignet. Und ich kriege rückgekoppelt:

00:11:49: Oh, die tun doch was gegen dieses Allmachtsgehabe! Gegen diese Struktur wird etwas getan!

00:11:56: Was die ermittlungssstrategischen Erfolge angeht, ist das der Anfang.

00:12:01: Auch die Clankriminellen werden kaüieren und tun es zunehmend auch, dass zuviel Öffentlichkeit, zuviel Unruhe das kriminelle Geschäft stört, ja möglicherweise illegale Geschäftspartner, mit denen man Geschäfte macht, sich zurückziehen, wenn sie permanent

00:12:15: in irgendwelchen Zeitungen auf der ersten Seite neben irgendeinem Clan-Chef abgebildet werden.

00:12:21: Das wird sicherlich noch einige Zeit dauern, aber dieses spektakuläre Gehabe in diesem Kriminalitätssektor wird zurückgehen. Das ist aber erst der erste Schritt. Aber damit

00:12:29: tun wir nichts gegen die Clankriminalität. Ich habe das hundertfach gesagt: Das A und O bei der Verfolgung der Clankriminalität ist, dass wir das kriminelle Vermögen wegnehmen! MORLING: Und wie sieht es damit aus?

00:12:40: KAMSTRA: Da machen wir Fortschritte, sind aber noch weit von dem entfernt, was ich mir vorstellen würde. Wir machen Fortschritte durch das neue Vermögensabschöpfungsgesetz. Es hat Jahre gedauert, bis wir es hatten und es erleichtert uns jetzt die Sicherstellung kriminell inkriminierten Vermögens ganz erheblich.

00:12:54: Das ist aber, das sage ich ganz deutlich, noch keine Beweislastumkehr!

00:12:58: Wenn man denkt, man könnte jetzt schnell agieren, dann irrt man sich. Auch wenn man sich diese Beschlagnahme von 77 Immobilien, die Ausfluss dieses Gesetzes ist,

00:13:08: sich einmal anguckt

00:13:09: dann weiß ich als Insider: bevor wir das gemacht haben, haben wir jahrelang in Puzzlearbeit ermitteln müssen, wem welches Grundstück gehört. Bevor wir also, plastisch gesagt, zuschlagen konnten,  ist jahrelang ermittelt worden. Es ist also nicht so, dass dieses Gesetz uns in die Lage versetzt,

00:13:24: sehr schnell zu agieren. Aber es hilft ungeheuer. Mein Credo bleibt:

00:13:27: Wir brauchen die Beweislastumkehr! ich will nicht davon weg, dem Täter die Schuld nachzuweisen, das werden wir haarklein machen müssen! Er muss sich also nicjht entlasten. Aber wenn wir

00:13:37: nachgewiesen haben, dass er eine Straftat begangen hat,

00:13:41: wenn er rechtskräftig verurteilt ist, dann verstehe ich nicht, dass wir ihm nicht auferlegen können, nicht fragen können, ob die Rolex an seinem Handgelenk legal erworben oder aus kriminellem Tun stammt? Ich weiß, dass das mit unserem Verfassungsgericht schwierig ist. Aber die Frage

00:13:55: der Vermögenseinziehung ist weniger eine Frage von Strafe und Schuld, sondern vielmehr eine frage von zivilrechtlichem Ausgleich. Deshalb verstehe ich nicht, dass das nicht auch in Deutschland möglich sein sollte.

00:14:04: MORLING: Warum ist es aus ihrer Sicht so wichtig? KAMSTRA: Da spielen verschiedene Umstände eine gemeinsame Rolle. Wenn ich mir einmal ansehe: ein Kleinkrimineller sprengt

00:14:13: ein paar Schließfächer einer Bank und erbeutet sechs oder sieben Millionen, so war es damals. Er wird dann verurteilt zu

00:14:20: fünf oder sechs Jahren, glaiube ich. Das Vermögen ist komplett weg! Das können die gut! Da haben wir noch erheblichen Lernbedarf,  wie wir das Verbringen von Tatbeute ins Ausland verhindern können. Diese Tatbeute jedenfalls ist weg.

00:14:33: Und dann sitzt ein solcher Mann bei uns üblicherweise etwa zwei Drittel ab. Ich weiß nicht: wenn ich einmal sechs Millionen in trockenen Tüchern habe, ob ich dann 4 Jahre Knast in Deutschland nicht hinnehmen würde?

00:14:44: Morling: Nun kommen wir von der Clankriminalität zu einem großen Erfolg für die Berliner Staatsanwaltschaft: das Urteil 2019 gegen die Hells Angels. Achtmal Lebenslang wurde beantragt und

00:14:56: das Gericht hat genauso entschieden. Bei solchen Verfahren

00:15:01: die ja eine Unmenge Geld kosten, wo man der Politik und der Öffentlichkeit erklären muss, warum man das alles macht. Wie haben Sie es geschafft, dass Verfahren bis zum Schluss durchziehen

00:15:14: zu dürfen als ermittelnde Behörde?

00:15:17: KAMSTRA: Ja, am Ende ist das ein spektakuläres Verfahren gewesen. Aber ich will einmal zwei Dinge klarstellen: Sie haben vorhin das Wort "Hierarchie" und "Staatsanwaltschaft" angesprochen.

00:15:27: Bei einem Fall unterliegen wir dem Legalitätsprinzip. Wir versuchen also, den Fall aufzuklären und (dann sage ich mal so arrogant):  wenn wir mitten drin sind, fragen wir niemanden mehr, ob wir das dürfen.  Wir machen es.

00:15:38: Rückblickend kann ich sagen, dass in Gefühlt jetzt 30 Jahre oder mehr ich niemals die Anweisung bekommen habe, die Finger von bestimmten Fällen zu lassen.

00:15:48: Und wenn sich so ein Verfahren dann entwickelt und die Ermittlungen sehr aufwendig werden und die Gerichtskosten sehr aufwendig werden, dann ist das eben so! Wir fragen nicht danach, also wir Staatsanwälte, ob wir so einen Prozess finanzieren können,

00:16:00: sondern: der hat sich so entwickelt!

00:16:02: Ich würde es anders sagen wollen: man kann anfangen zu überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, sehr lange Hauptverhandlungen durch geeignete Gesetze oder Gesetzeseinschränkungen zu verkürzen. Aber das will ich hier nicht weiter ausführen.

00:16:13: Ob man zum Beispiel im Beweisantragsrecht etwas ändert - aber ich will das jetzt nur anreißen... Denn das meiste Geld hat der Prozess und nicht die Ermittlungen gekostet! Auf der anderen Seite steht die frage, ob man so etwas überhaupt machen sol?

00:16:24: Ich würde es jederzeit wieder machen, weil ich der Meinung bin,

00:16:28: dass wir auch dafür da sind zu zeigen, dass jede kriminelle Gruppierung angreifbar ist - auch die, die den Habituas haben, dass ihnen nichts passieren kann! Und dazu gehörten, jedenfalls in dieser Stadt, die Rocker.

00:16:39: Ja, auch die haben ein erhebliches Gefährdungspotential und auch ein gehöriges Potential, Angst auch in der Bevölkerung zu verbreiten.

00:16:49: Ich muss garnicht wissen, ob die wirklich gefährlich sind. Wenn ich weiß, derjenige, der mir jetzt ins Haus geschickt wird, gehört zu den Hells Angels, zucke ich schon zurück und sage mir: schön vorsichtig sein!

00:16:58: Die haben den Nimbus der Unantastbarkeit - die Gruppe, die wir jetzt angeklagt und dann zur Verurteilung gebracht haben, erst recht!

00:17:04: Die haben, ähnlich wie Clankriminelle, die Stadt als ihre Stadt bezeichnet.

00:17:09: Dann rechtfertigt auch so ein immenser Aufwand das Ergebnis, dass man sagen kann:

00:17:16: Wir schaffen es, nicht nur die "Kleinen" von der Straße zu kriegen, also den kleinen Prospekt (Hells-Angels-Anwärter) oder sowas, sondern tatsächlich auch eine ganze Gruppenstruktur zur Verurteilung zu bringen.

00:17:26: Das hat auch eine gewisse abschreckende Wirkung in dieser Szene.

00:17:33: MORLING: Müsste sich in Sachen "Zeugenschutz" und für die Kronzeugen, die Auspacken wollen, mehr tun, damit die Strukturen der Organisierten Kriminalität besser aufgebrochen werden könnten?

00:17:45: KAMSTRA: Ob sich mehr tun sollte, will ich nicht sagen. Aber ich bin ein Befürworter der Kronzeugenregelung, die wir gesetzlich festgelegt haben,

00:17:53: als Teil einer Ermittlungsmethode gegen organisierte Kriminalität. Ich bin mir bewusst, dass Kronzeugen

00:18:00: heikle Beweismittel sind. Der Kronzeuge, der der sich entschließt auszupacken ( bei den Hells Angels gegen seine Brüder)

00:18:08: und der weiß, dass er mit seinem Leben spielt und es trotzdem tut, macht das ja nicht umsonst. Er erwartet von uns, dass er, wenn er spurt, am Ende die

00:18:17: gesetzlichen Vorteile der Kronzeugenregelung mitnehmen kann.

00:18:21: Aber die können wir ihm vorher nicht garantieren denn das entscheidet das Gericht. Aber wir können ihm schon sagen: Wenn du kooperierst, dann werden wir uns dafür einsetzen.

00:18:30: Das tun wir unter Umständen auch und wir wissen dabei auch, dass ein Kronzeuge natürlich immer Gefahr läuft zu denken: Je mehr ich den Ermittlungsbehörden erzähle,

00:18:40: umso mehr springt bei mir raus. Deswegen werden wir die Angaben von Kronzeugen in jedem Fall besonders kritisch prüfen lassen!

00:18:47: Jetzt will ich nicht lange drum herum reden! In dem Fall war das genauso. Wir haben die Angaben aus unserer Sicht sehr kritisch überprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass das, was dieser Kronzeuge gesagt hat, genaugenommen ist es hier ein "Kronangeklagter",

00:18:59: war zum ganz überwiegenden Teil nachweisbar, unterlegbar und richtig.

00:19:05: Es gibt eine Rechtsprechung des Bundesgerichts, die ich in dem Zusammenhang völlig richtig finde: allein auf den Angaben eines Kronzeugen können sie eine Verurteilung nicht stützen, aber sie können

00:19:14: den Kronzeugen als Grundlage für weitere Ermittlung nehmen und wenn sich die Angaben des Kronzeugen verifizieren lassen, dann ist er ein wertvolles Beweismittel.

00:19:24: MORLING: Aus Sicht ihre langjährigen Erfahrungen: Was würde Strafverfahren noch effektiver machen? Welche Mittel müssten Staatsanwaltschaft und Polizei zusätzlich an die Hand gegeben werden?

00:19:35: KAMSTRA: Ich will das einmal nur für die Frage beantworten: Wie kann ich Clankriminalität oder Organisierte Kriminalität vielleicht besser verfolgen? Ich will, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, nur ein paar Sachen dazu erzählen.

00:19:46: Videovernehmung wäre für mich das erste. Videovernehmung deshalb, weil man dann nicht nur lesen kann,  was einer sagt. von jemand deshalb weil man dann nicht nur lesen kann was einer sagt, sondern

00:19:53: genau hören kann, jedes Wort hören kann. Man kann sehen, wie er es sagt, ob jemand schwitzt ob jemand die Augen verdreht und so weiter und so weiter... Das hat den Vorteil, dass sie Leute,

00:20:02: die

00:20:03: unter dem Eindruck einer Straftat stehen, insbesondere Opfer, jetzt rede ich einmal vom Clanbereich, dass die in dem Moment, wo sie in der Ambulanz im Krankenhaus sitzen, Adrenalin bis unter ihrem Schädeldach haben, dann erzählen!

00:20:15: In der Clankriminalität beobachten wir dann häufig, dass 2-3 Stunden später die Aussagefreudigkeit rapide abnimmt. Das hat damit zu tun, dass andere Mechanismen eingreifen:

00:20:23: Die sogenannte Paralleljustiz

00:20:25: fängt an. Den bislang Aussagewilligen wird gesagt: das könnte für dich Nachteile haben, wenn du weiter aussagst. Andererseits Vorteile, wenn... man versucht ihn also zu beeinflussen.

00:20:37: Dann hätten sie (durch eine Videovernehmung) eine authentische Vernehmung. Sie könnten bewerten, wie das spätere Revidieren einer Aussage sich verträgt mit einer sehr authentischen Aussage die sie nicht nur

00:20:46: aufgeschrieben lesen, sondern erleben können. Ich halte das für erheblich bedeutungsvoll auch vor dem Hintergrund, dass bestimmte Verteidigungsstrategien zum Beispiel lauten:

00:20:57: "Das hat er so nicht gesagt!"  oder "Das hat er so genau nicht gesagt!" oder " Ihm ist vorher was angeboten worden, wenn er es sagt!" Das ist mit dem Video erledigt!

00:21:07: Das zweite, was ich gerne sehr verstärkt haben würde, ist der sogenannte, ich sag jetzt mal dieses unschöne Wort: Große Lauschangriff,  also die akustischen Wohnraumüberwachung, die wir ja im Gesetz haben.

00:21:18: Allerdings mit Hürden, die dazu führten, dass ich in meiner ganzen Karriere ein einziges Mal eine akustische Wohnraumüberwachung beantragt und angeordnet bekommen habe. Das ist extrem schwierig.

00:21:29: Nur: Die Schwachstellen fast jeder kriminellen Organisationen sind ihre Kommunikationswege.

00:21:34: Wir müssen also versuchen, da reinzukommen und mit zuhören, was die miteinander reden. Die reden selten zu Hause am Festnetztelefon, sondern in der Shishabar, auf der Wiese, in der Garage, irgendwie so.

00:21:46: Da sollte es möglich sein, dass wir versuchen, in diese Kommunikationswege reinzukommen und mitzuhören.

00:21:53: Das dritte hatte ich schon gesagt: Es ist die Beweislastumkehr bei der Vermögenseinziehung. Das ist für mich

00:21:58: die Kardinalforderung schlechthin! Das waren jetzt nur drei Beispiele. Lassen Sie mich vielleicht

00:22:05: in dem Zusammenhang noch eines sagen, das ist die Frage, warum kriegen wir das nicht? Wir Staatsanwälte arbeiten mit dem, was uns das Gesetz an Maßnahmen an die Hand gibt und die Maßnahmen beschließt der Gesetzgeber.

00:22:18: Doch der tut sich manchmal schwer. Also, wenn ich sage, ich bin manchmal sehr verwundert, dann habe ich das sehr defensiv ausgedrückt:

00:22:25: Wie lange manche politischen Entscheidungen dauern! Wenn Sie mal gucken: Wie lange dauert es schon, bis wir eine Entscheidung darüber bekommen, ob die Polizei den Taser einsetzen darf?

00:22:34: Wie lange hat es gedauert, bis wir das neue Vermögensabschöpfungsrecht bekommen haben! Oder Videoüberwachung - auch so ein Thema. Wie lange wird da schon politisch vorwärts und rückwärts debattiert bis man irgendeine Entscheidung trifft!

00:22:46: Ich habe als Staatsanwalt eigentlich nichts dagegen, wenn wir die Politik sagt: bestimmte Maßnahmen wollen wir euch nicht geben, weil - das weiß ich auch -

00:22:55: prozessuale Maßnahmen immer mit der Einschränkung von Persönlichkeitsrechten anderer

00:22:59: verbunden sind. Es ist durchaus Sache der Politik zu sagen, dass wollen wir jedweden Dritten nicht zumuten.

00:23:06: Nur finde ich es nicht so schön, wenn die Politik

00:23:10: das tut, indem sie bestimmte Etikette verteilt. Ich bleibe in meinem Beispiel bei der akustischen Wohnraumüberwachung: Die Debatte der Wohnraumüberwachungsgegner begann damit, dass man das Ganze umbenannt hat zu "Großen Lauschangriff". Das bekommt sofort einen negativen Touch!

00:23:25: Und auf der Ebene wurde es dann weiter diskutiert. Ich denke, dass der Bürger verlangen kann, dass die Politik ihm auch erklärt, warum sie bestimmte Maßnahmen nicht anordnet!

00:23:35: Und zum Thema Lauschangriff würde ich dann abschließend noch sagen: es ist in dieser Diskussion nie thematisiert worden, obwohl wir Staatsanwälte es so benannt haben,

00:23:45: dasss der Große Lauschangriff auch eine erhebliche Zeugenschutzmaßnahme ist! Wenn sie nämlich eine organisiert kriminelle Gruppierung haben, die in die Enge getrieben ist,

00:23:54: die wird definitiv versuchen, die Beweismittel zu manipulieren.

00:23:58: Der Zeuge ist das am leichtesten manipulierbare Beweismittel, den kann ich bedrohen, den kann ich bezahlen...Wenn ich aber

00:24:05: eine akustische Aufnahme habe von dem Schutzgelderpressungsgespräch, dann brauche ich den Zeugen nicht! Es ergäbe dann für die andere Seite auch keinen Sinn,

00:24:13: sich an dem Zeugen zu vergreifen. Das werden die dann auch nicht tun, weil die nicht neue Schlachtfelder aufmachen wollen. Stattdessen müssten sie ein objektives Beweismittel manipulieren - und das würde schwierig werden!

00:24:23: MORLING: Wie sieht's denn im Zusammenhang mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit der  Zusammenarbeit aus mit den Ländern rund um Deutschland aus, mit Europol und so weiter? Sind wir auf gutem Wege oder was müsste sich da tun?

00:24:36: KAMSTRA: Wir sind auf dem Weg. "Auf gutem Weg" würde ich sagen, wenn absehbar eine deutliche Verschnellerung zu erwarten wäre. Das ist nicht der Fall. Meines Erachtens könnte die internationale Zusammenarbeit deutlich besser werden!

00:24:49: Wir haben allerdings in den letzten Jahren zunehmend Instrumentarien gefunden, die tatsächlich

00:24:55: in einzelnen Kriminalitätsbiotopen, lassen sie mich es einmal so sagen, eine bessere Zusammenarbeit ermöglichen, sozusagen "Joint Investigation Teams".

00:25:04: Also beispielsweise Zusammenarbeit, daran kann ich mich hier erinnern in meiner Karriere, mit

00:25:08: polnischen Staatsanwälten und Berliner Staatsanwälten, etwa bei Autoverschiebungsdelikten oder bei Enkeltrickdelikten. Da ist so etwas gelaufen und das wird zunehmend mehr. Aber

00:25:19: aus meiner Sicht könnte es schneller gehen! Ein Hemmschuh für eine effektive internationale Kriminalitätsverfolgung ist meines Erachtens immer noch

00:25:28: die internationale Rechtshilfe, die ja vielleicht doch noch ein bisschen mit der Postkutsche fährt.

00:25:34: MORLING: Was würden Sie ihren jungen Kollegen raten, wie sie besonders gut in Moabit klarkommen und ihren Beruf erfüllen könnten?

00:25:42: KAMSTRA: Das muss jeder individuell für sich entscheiden. Staatsanwalt ist nicht gleich Staatsanwalt. Es gibt ja verschiedene Arbeitsgebiete. Ich will es einmal so sagen: Wenn ich die juristisch feinsinnigere Auseinandersetzung suchte, würde ich vielleicht zur Abteilung für Wirtschaftskriminalität gehen

00:25:56: Wenn sie eher so mitten im Leben stehen, sollten sie sich vielleicht eher für die Organisierte Kriminalität entscheiden. Aber das muss jeder individuell für sich entscheiden!

00:26:03: Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll, aber man muss einfach Spaß an dem Beruf finden. Man muss eine gewisse Haltung dazu haben, Strafrecht muss einem wichtig sein.

00:26:13: Man muss nicht die Haltung haben,

00:26:15: je mehr Freiheitsstrafe ich raushole, um so ein besserer Staatsanwalt bin ich! Aber man sollte wissen: als Staatsanwalt ich bin jetzt hier an dem Punkt, an dem ich daran beteiligt sein kann, bestimmte Missstände -mindestens- einzugrenzen!

00:26:29: Irgndwelche Sümpfe trockenzulegen, diesen Anspruch sollten Sie als Staatsanwalt nicht haben! Es wird ihnen nicht gelingen!

00:26:34: MORLING: Hätten Sie noch länger als Staatsanwalt Dienst haben können? ich glaube nicht, ihr Dienst wurde sogar verlängert?

00:26:40: Ich bin schon ein halbes Jahr über dem Zenit. Wir haben genügend hoffnungsvolle Nachwuchskräfte. Das sage ich einmal so. Ich habe

00:26:48: keine Bange darum, dass hier Lücken gerissen werden, die andere nicht ausfüllen können. Es gibt genug gute Staatsanwälte, die nachfolgen können. Und wenn ich jetzt sage: Mir reicht´s,  dann nicht, weil mir der Beruf keinen Spaß macht, sondern einfach,  dass sie sage es gibt auch noch ein Leben neben dem Beruf und: nach dem Beruf!

00:27:03: Musik

00:27:15: Kriminalgericht Moabit: Der Podcast. Gerichtsreporter Ulf Morling berichtet über echte Prozesse mit echten Menschen. Von ihm erlebt.

00:27:24: Musik

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